Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
Vom Netzwerk:
facile, muss es sein, kinderleicht. Ich schüttele also den Keulenkopf von der Gabel und mache alles genau nach Anleitung: zwei, drei Dinger aufspießen, hochziehen und dann munter losdrehen, auf irgendeinem freien Tellerplätzchen.
    Bloß: da war kein freies Plätzchen. Nichts. Absolut gar nichts. Mein Teller zugeballert mit Spaghetti wie ein Ikea-Parkplatz am Samstagnachmittag. Nichts geht mehr. Kein Vor, kein Zurück. Und das auf einem tiefen Teller. Wenn es schon bei einem flachen Teller für ungeübte Dreher schwierig ist, ein freies Plätzchen zu schaffen und zu halten, so ist es auf einem tiefen Teller mit einer größeren Portion gänzlich unmöglich. Sobald ich die Masse auf der einen Seite zu türmen versuchte, drückte sich von der anderen Seite der Pastaberg in die Lücke. Auf den Schrägen rutschten die Nudeln wie Kinder im Winter auf vereisten Rodelbergen.
    Ich hoffte auf Gauß und seine Normalverteilung, die vom Zehn-Mark-Schein damals. Wird es auch bei zu viel Nudeln auf einem tiefen Teller irgendwann zu einer Standardabweichung kommen? Eine Lücke, ein Drehplätzchen? Vielleicht ein Messfehler? Gauß schüttelte den Kopf. Nicht bei so viel Spaghetti. Sehr unwahrscheinlich. Ich müsste Jahre warten, meinte Gauß.
    Das also ist der Schwiegermuttertrick. Sie erstickt mich in Großzügigkeit, quält mich vor einem tiefen Teller, übervoll, ohne Drehplätzchen, ohne Löffel.
     
    Ich müsste auf die Questura, das Polizeipräsidium, uns anmelden, schrie ich zu Viola ins Arbeitszimmer rüber, während ich die Kinder fertig machte. Ob ich ihr was mitbringen könnte.
    Kleine Scherze stützen die Liebe im Alltag. Wenn Stress und Routine einen im Schwitzkasten haben, gilt es Luft zu holen für einen kleinen Witz zwischendurch. Eine Minipolizeikelle vielleicht? Als Schlüsselanhänger. Einen kleinen, wirklich ganz kleinen Strafzettel vielleicht? Als Ansichtskarte. Was mitbringen. Aus der Questura.
    »Ja«, brüllte Viola zurück. »Einen CiEffe.«
    Ich erstarrte. CiEffe. CF , zwei Buchstaben, auf Italienisch. Sie stehen für »Codice fiscale«. Kein Scherz, sondern die Hölle.
    Der CiEffe ist der Schattenkaiser der italienischen Staatsbürgerschaft. Ohne ihn bekommt man in Italien keinen Vertrag, kein Handy, keine Versicherung, nicht mal eine vernünftige Rechnung. Sie wollten mir in der Reinigung um die Ecke, zu der mich Zia Anna geschickt hatte, nicht mal meine Hose zurückgeben.
    »Und der Codice Fiscale?«
    Aber die Sache sei doch bezahlt, argumentierte ich.
    »Die Nummer, bitteschön.«
    »Also, ich hab gar keine.«
    »Keinen Codice fiscale? Das ist ein Problem.«
    »Hören Sie: Ich verzichte auf Quittung, Rechnung, Regressansprüche – alles. Bitte. Meine Hose.« Sie schob die Unterlippe vor, schüttelte den Kopf. Aber sie könnte ja mal nachfragen. Und während sie im Nebenraum lautstark diskutierte, packte ich Mut und Hose zusammen und verschwand. Verzeih, Zia Anna!
    Natürlich hatte ich schon ein paar Mal versucht, an einen eigenen CiEffe zu kommen. Ich hing in Telefonleitungen fest, hörte immer wieder dieselben Warteschleifen dudeln – und meine Gettoni durchfallen; auf dem Amt trippelte ich von Schalter zu Schalter: Wo ich denn wie lang plane, mich aufzuhalten? Warum jetzt? Und warum überhaupt? Ich beantwortete Fragen und Nachfragen.
    Und dann: »Wie lautet denn Ihr Codice fiscale?« Ich schluckte.
    »Aber ich habe doch gar keinen.« Deswegen sei ich ja schließlich hier, sagte ich. Um einen zu beantragen. Doch an diesem Punkt der Unterhaltung wurden die Schaltermenschen regelmäßig sehr, sehr misstrauisch.
    »Sie haben keinen Codice fiscale?« Ich nickte. Wie ich das denn überhaupt mache? Den brauche man doch heutzutage überall.
    JA , EBEN !
    Ob ich ausschließen könnte, gewerblich tätig zu sein oder zu werden? Und – Moment, jetzt sei ohnehin Mittagspause.
    So etwa.
    Der CiEffe ist eine Art geheime Staatstaufe, ein sechzehnstelliges, persönliches Nummernbuchstabengewirr, das Basisdaten kodiert darstellt und vermutlich nur an Staatsbürger im Stillalter ohne Argwohn ausgegeben wird. Er liest sich schleppend, eher Jandl als Rilke.
    BNN SMN 56 F 25  R 687 K, so etwa.
    Vom Nachnamen zum Beispiel werden drei Konsonanten ausgewählt, der Geburtsort wird dank riesiger Tabellen in eine zweistellige Buchstabenziffernkombination verklausuliert. Auf Position 10 und 11 liegt der Geburtstag. 25 etwa, wenn man am 25 . eines Monats Geburtstag hat. Bei Frauen wird diese Zahl mit 40 addiert. 65 heißt

Weitere Kostenlose Bücher