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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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eigentlich das Sagen? Das, was tatsächlich stattfindet, oder das, was ich erwarte? Wie viel von dem, was wir zu sehen glauben, ist nichts anderes als das, womit wir einfach rechnen? Sind wir nicht mehr als unsere eigene Prophezeiung? Wer verdammt nochmal bestimmt eigentlich, was wir erwarten, mit was wir rechnen? Wer macht das? Und könnte ich mit dem bitte mal sprechen?
     
    Mein Schwiegervater gab seinem Sohn den nicht ganz unbescheidenen Namen Michelangelo: Dieses Werk, mein Werk wird Großes schaffen. Michelangelo. Da bin ich mir ganz sicher.
    Die Größe eines Schwiegervaters steht außer Frage. Vor allem beim Schwiegervater. Ich war noch nicht lang mit Viola zusammen, vielleicht ein paar Monate, hatte noch gar nicht viel mit ihrem Vater gesprochen, vielleicht ein paar Sätze. Aber es war ein Satz von ihm darunter, der kam wortwörtlich zweimal vor: »Schau, Georg, du machst das verkehrt. Ich …« Ich hatte also allen Grund, aufgeregt zu sein, vielleicht sogar Angst zu haben, als ich das erste Mal meine späteren Schwiegereltern zum Essen in meine Studentenbude einlud, Pino und Sigrid. Er Italiener, sie Deutsche. Sie lebten damals in München. Gekocht wurde natürlich italienisch.
    Ich dachte: Diese Italiener, die essen doch ganz gern Nudeln. Dazu machte ich Pesto Genovese, selbstgehackt. Damals war das noch kein Studentengericht, denn damals gab es frisches Basilikum noch nicht in den Supermärkten; die hatten sich gerade erst auf die Olivenöllust der Deutschen eingestellt. Frisches Basilikum gab es nur auf dem Markt. Dazu der ganze Parmesan, damals noch Feinkostware, und die Pinienkerne erst, diese kleinen Goldnüsse. Egal. Mir war es das wert. Ich hackte und schmeckte, mörserte und häckselte. Es sollte ein grandioses Essen werden.
    Die beiden kamen pünktlich. Sigrid blieb ganz kurz an der Zwei-Platten-Kochnische stehen, an der ich fuhrwerkte, raunte mir über die Schulter zu: Das Einzige, was ihr Mann nicht leiden könne, sei Pesto Genovese.
    Bis heute, frage ich mich, ob sie eigentlich gesehen hatte, was ich da gerade zubereitete, oder ob sie das nur so ganz allgemein noch zu bedenken geben wollte. Jedenfalls erstarrte ich kurz, nickte, probierte: total versalzen. Na dann.
    Jetzt nur nicht die Pasta verkochen, das ist neben zu wenig Wasser eine der Todsünden unter Italienern, hatte mich Viola gelehrt. Öl ins Nudelwasser? Am Ende kalt abwaschen? So was können Italiener sich gar nicht vorstellen. Staunend beobachtete ich zum Beispiel auf einem Campingplatz in Finnland, wie ein paar befreundete Italiener ein Päckchen Nudeln tatsächlich in drei Portionen kochten – sonst sei das ja viel zu wenig Wasser, meinten sie, das ginge gar nicht – und damit unser letztes Campinggas verpulverten. Wir mussten dann umdisponieren: Tatar statt Buletten.
     
    Die Pasta hatte Biss. Das war doch schon mal was. Pino zog beim Kauen immer wieder die Lippen auseinander. Vielleicht müssen manche Gerichte eben atmen, dachte ich, wie ein guter Rotwein. Vielleicht weiß Pino darum und versuchte mit den zuckenden Lippen die Pasta zu belüften? Meine Pasta. Ein echter Gourmet in meiner Studenten-Butze. Immerhin legt Pino sehr viel Wert aufs Essen. Er importiert viele Dinge. Käse, Schinken? Italien. Gemüse? Italien. Obst? Italien. Er bringt die Waren immer selbst über die Alpen, weil er gern fährt, gern selbst auswählt und ohnehin ständig hin- und herfährt. Eine Zeitlang importierte er sogar Tafelwasser. Ganze Kofferraumladungen voller Plastikflaschengebinde. Das deutsche Wasser schmecke so leer, meinte er. »Das macht so eine pelzige Mund.«
    Dann legte Pino die Gabel zur Seite, nahm das Weinglas – was kam nun? Eine Rede auf das Studentenleben? Die Macht des Wissens? Die Philosophie? Auf die Liebe? Auf uns? Oder vielleicht sogar aufs Essen? Cincin auf den Koch?
    Er schaute Sigrid an. Dann sagte er: »Du, Mama, die Pasta ist ungekocht.«
    Konvertiten laufen Gefahr, besonders fanatisch zu sein. So ist es wohl auch mit mir, der ein echter Italiener werden will, echter als echt am besten, echter als Buscaglione, Bertolucci und – ja von mir aus auch dieser Berlusconi zusammen. Ich will al dente leben, bissfest bis ins Mark.
    Ich war bereits beim Abwasch, als das Telefon klingelte. Es war Sigrid, sie seien gut nach Hause gekommen, aber sie wollte mich warnen. Die Pasta. Ich müsse sie in Zukunft wirklich länger kochen. Das gehe so nicht. Ich sollte doch bitte auch an meine Gesundheit denken. Die Pasta, also, Pino

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