Aus Notwehr! - Aus Notwehr! - For a House Made of Stone. Gina's Story
darum, herausgelassen zu werden. Sie erinnerte mich an den Verschlag, den mein Vater damals in unserem Haus in den Bergen für mich gebaut hatte. Ich konnte mich entsinnen, dass ich mir diesen Verschlag, als es mir wieder besser ging, angeschaut und versucht hatte, mir vorzustellen, wie es wohl gewesen war, darin eingesperrt zu sein. Jetzt wusste ich es.
»Fesseln Sie mich doch einfach«, sagte ich. »Ich laufe nicht davon. Aber ich will hier nicht allein eingesperrt sein.«
Die Polizistin, die sich um mich kümmerte, hielt lang meine Hand und versuchte, mich zu beruhigen - es würde schon alles in Ordnung kommen.
»Das geht nicht«, sagte sie, »tut mir Leid.«
Ich konnte nicht verstehen, warum nicht alle wütender auf mich waren, nachdem ich etwas so Schreckliches getan hatte. Sie waren alle so nett zu mir, vor allem die Polizistin. Ich bat immer wieder, auf die Toilette gehen zu dürfen, bloß wegen des Tapetenwechsels, und sie verlor nie die Geduld mit mir. Der Raum war so klein, nur eine Bank, um sich hinzusetzen oder hinzulegen. Ich hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren.
»Das kommt schon in Ordnung«, beruhigte sie mich immer, wenn ich in Panik geriet. »Das klärt sich schon alles auf. Sie haben es nicht verdient, hier eingesperrt zu sein.«
Sie erlaubten mir, Beth auf den Philippinen anzurufen. Als ich ihre Stimme hörte, konnte ich sie mir in ihrem Haus vorstellen und wie ihre ganze Familie kam und ging. Mich ergriff eine Welle von Heimweh, und ich wünschte mir, das Dorf überhaupt nie verlassen zu haben. Es wäre besser gewesen, wenn ich bei meiner Tante geblieben wäre, gekocht, geputzt und die Wäsche gemacht und nie geheiratet oder irgendwelche Reisen unternommen hätte. Ich konnte verstehen, weshalb so viele Leute - meine Eltern zum Beispiel - Angst hatten zu verreisen.
»Ich habe etwas Schreckliches getan«, gestand ich ihr über Tausende von Kilometern hinweg. »Ich habe Paul umgebracht.«
Selbst für mich klangen diese Worte unglaublich. Ich konnte in ihrer Stimme den Schock und den Unglauben hören, als sie versuchte, aus mir herauszukriegen, was denn genau passiert war. Ich erklärte, wie Paul mich und Michael geschlagen hatte, bis ich es schließlich einfach nicht mehr ertragen konnte. Es war für Beth bestimmt sehr schwer, diese Nachricht zu verdauen, vor allem, weil sie so ohne Vorwarnung per Telefon kam.
»Bitte«, sagte ich, »erklär das allen in der Familie.«
Ich konnte mir vorstellen, was für ein Gesicht Mama und Papa machen würden, wenn sie hörten, was passiert war; Unglauben, gefolgt von Verzweiflung und Zorn. Wieder einmal hatte ich Ärger und Schande über die Familie gebracht. Ich hatte ihnen nie von meinen Problemen mit Paul erzählt; in ihren Augen war er ein vorbildlicher Ehemann und treu sorgender Vater gewesen. Sie würden nur denken, dass ihre Tochter eben wirklich »zu nichts taugt« und ihr Leben verpfuscht hatte, indem sie wie schon einmal Amok gelaufen war. Ich hatte versprochen, sie für all
den Ärger zu entschädigen, den ich durch meine Ehe mit Jun verursacht hatte, und das war nun dabei herausgekommen: Ich hatte ihnen sogar noch mehr Schande bereitet.
Es war in den Zellen nicht gestattet zu rauchen, und der plötzliche Nikotinentzug war für mich schwer zu verkraften, da es ja so wenig Ablenkung gab. Nach einer Weile konnte ich an nichts anderes mehr denken und bat die Polizistin immer, wenn sie hereinkam, mir doch eine Zigarette zu geben. »Nur eine«, flehte ich, »dann könnt ihr mich umbringen, es ist mir egal.«
»Sie kommen bald woanders hin«, versprach sie mir. »Dort wird es dann besser. Dort sind Sie mit anderen Leuten zusammen und können auch rauchen.«
Sie meinte sicher, dass ich in ein richtiges Gefängnis käme. Ich war froh, denn ich dachte, dass dann die Chance bestünde, andere Frauen kennen zu lernen und mit ihnen zu reden. Ich hätte wenigstens ein paar Stunden am Tag etwas zu tun, vielleicht konnte ich sogar neue Freundschaften schließen - aber der Gedanke, eine Zigarette zu rauchen, war dennoch die tollste Aussicht überhaupt.
Meine Erinnerung an die ersten drei Tage ist verschwommen, das meiste habe ich komplett vergessen - wie die Zeit unmittelbar nach der Geburt von Dailyn. Ich erinnere mich aber sehr wohl noch an ein Gespräch mit einem von der Staatsanwaltschaft bestellten Psychiater an dem Tag, als ich verlegt wurde - an seinen Namen und an sein Gesicht oder wovon wir geredet haben, allerdings nicht mehr. Ich
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