Auschwitz
Oberschlesien – Auschwitz. Nun beschlossen die Briten, den Kommandanten jenes Todeslagers zur Strecke zu bringen. Wie der Geheimdienst wußte, bekam man die Täter am ehesten zu fassen, wenn man sich auf ihre Familien konzentrierte. Auch wenn sie eine andere Identität angenommen oder sich gar ins Ausland abgesetzt hatten, so hielten sie doch meist Kontakt zu ihren Frauen und Kindern, und diese waren in der Regel leichter aufzuspüren. So verhielt es sich auch mit Hedwig Höß und ihren Söhnen. Nachdem der britische Geheimdienst die Familie in einem sechs Kilometer von Belsen entfernten Dorf ausfindig gemacht hatte, stellte er sie sofort unter Beobachtung. Am 8. März 1946 wurde Frau Höß verhaftet und einige Tage lang verhört. Man fragte sie immer wieder nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes, doch ihre Antwort war stets: »Er ist tot.« Schließlich stellten die Nachrichtenoffiziere ihr eine Falle: Da hinter dem Gefängnis eine Bahnlinie verlief, sorgte man dafür, daß in Hörweite ihrer Zelle eine Lok rangierte. Hauptmann William »Victor« Cross, ein Kommandeur der britischen Militärpolizei, berichtet: »Dann sagten wir Frau Höß, daß ihre drei Söhne mit dem Zug nach Sibirien gebracht würden, wenn sie uns nicht den Aufenthaltsort und die Decknamen ihres Mannes verriete. Wenn sie sich weigerte zu kooperieren, hätte sie genau zwei Minuten Zeit, um sich von ihren Söhnen zu verabschieden … Dann gaben wir ihr Papier und Bleistift und ließen sie etwa zehn Minuten allein. Zum Glück funktionierte der Trick; sie schrieb uns alle gewünschten Informationen auf und wurde mit ihren Söhnen freigelassen.« 25
Frau Höß verriet den Briten, daß sich ihr Mann auf einem Bauernhof in Gottrupel in der Nähe von Flensburg versteckt hielt. Die Nachrichtenoffiziere brachen sofort nach Norddeutschland auf, kontaktierten die britische Militärpolizei vor Ort und trafen am Montag, dem 11. März, um 23 Uhr auf dem Hof ein. Sie überraschten Höß im Schlafanzug auf einer Liege in einem Wirtschaftsgebäude, das auch als Schlachthaus diente. Ein britischer Militärarzt öffnete Höß gewaltsam den Mund, um nach einer Giftkapsel zu suchen – sie alle wußten, daß es Himmler im Vorjahr gelungen war, sich auf diese Weise umzubringen. Ein Feldwebel schlug Höß viermal ins Gesicht, bis dieser seine Identität preisgab; dann zerrte man ihn auf eine der Schlachtbänke: »Die Schläge und Schreie nahmen kein Ende«, berichtete einer der anwesenden britischen Soldaten später. Schließlich brüllte der Militärarzt Hauptmann Cross an: »Pfeifen Sie sie zurück, wenn sie ihn lebend hier rausbringen wollen!« Daraufhin legten sie Höß eine Decke um, schleiften ihn zu einem Wagen und brachten ihn zum Hauptquartier der Militärpolizei in Heide.
Als sie in den frühen Morgenstunden dort eintrafen, schneite es, doch sie zwangen Höß, nackt über den Kasernenhof zu seiner Zelle gehen. Man hielt ihn drei Tage lang wach – die Soldaten hatten Anweisung, ihn mit Axtstielen zu bearbeiten, sobald er einnickte. Höß sagte später aus, man habe ihn auch mit seiner Reitpeitsche geschlagen. Am 14. März unterzeichnete er schließlich ein achtseitiges Geständnis.
Aufgrund der Mißhandlungen, denen Höß unmittelbar nach seiner Festnahme ausgesetzt war, ziehen Holocaust-Leugner die Glaubwürdigkeit seines Geständnisses in Zweifel. Doch selbst wenn Höß’ erste Aussage unter Druck zustande gekommen sein sollte, so waren es alle weiteren erwiesenermaßen nicht: Es gibt keinerlei Belege dafür, daß er während seiner übrigen Haftzeit oder späterer Verhöre mißhandelt wurde – sei es in »Tomato« (der Deckname für das Kriegsverbrechergefängnis in der Simeons-Kaserne), in Nürnberg oder im Laufe seines Prozesses in Polen. Weder in seiner Autobiographie, die er während seiner Inhaftierung verfaßte (und in der er sich bei seinen Bewachern sogar ausdrücklich dafür bedankt, seine Lebensgeschichte niederschreiben zu dürfen), noch im Zeugenstand vor einem ordentlichen Gericht widerrief er sein ursprüngliches Geständnis, obwohl er sich sicher genug fühlte, um von den Mißhandlungen der britischen Soldaten zu berichten.
Im April 1947 kehrte Rudolf Höß nach Auschwitz zurück, in dasselbe Gebäude, in dem er einst gearbeitet hatte. Doch diesmal saß er nicht hinter seinem Schreibtisch in seinem Büro im ersten Stock, sondern in einer Gefängniszelle im Keller. Man hielt es nur für angemessen, den Mann, der den Tod von über
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