Auschwitz
keine von ihnen mehr am Leben war. Therese hatte recht gehabt – die Bürger von Guernsey sollten sie nie wiedersehen.
Die restlichen Juden auf den Kanalinseln wurden ein Jahr später, im Frühjahr 1943, deportiert. Doch ihnen stand ein völlig anderes Schicksal bevor. Ihre Deportation – gemeinsam mit anderen aus einem breiten Spektrum der Kanalinselbewohner, darunter »Freimaurer«, »ehemalige Offiziere der Streitkräfte« und »mutmaßliche Kommunisten« 24 – war eine Vergeltungsmaßnahme für den Überfall auf Sark, eine der kleinsten unbewohnten Kanalinseln, durch ein Kommandounternehmen fünf Monate zuvor. Nur ein einziger unter den deportierten Juden von den Kanalinseln wurde von den Deutschen für eine »Sonderbehandlung« ausgesucht – John Max Finkelstein, ursprünglich aus Rumänien, der schließlich in das Konzentrationslager Buchenwald und von dort nach Theresienstadt deportiert wurde. Er überlebte den Krieg.
Die übrigen Deportierten einschließlich der Juden wurden in Internierungslager in Frankreich und Deutschland geschickt, wo ihre Behandlung zwar alles andere als menschenfreundlich, aber nicht mit den Leiden der Insassen von Auschwitz zu vergleichen war. Seltsamerweise wurden die Juden (mit Ausnahme von John Max Finkelstein) nicht von den übrigen deportierten Inselbewohnern getrennt. Wir können nur Vermutungen darüber anstellen, warum sie von ihren Häschern in dieser Weise behandelt wurden – bei der Durchführung der »Endlösung« gab es immer wieder Anomalien. In diesem Fall spielte es möglicherweise eine Rolle, daß sie gemeinsam mit Personen anderer Kategorien deportiert wurden, die von den Deutschen als weniger »gefährlich« eingestuft wurden, und auch daß sie jüdische Staatsangehörige eines Landes waren, das von den Nationalsozialisten als »zivilisiert« angesehen wurde und das sie vielleicht nicht offen brüskieren wollten. (Hierzu würde es passen, daß die im Herbst 1943 aus Dänemark deportierten Juden nicht nach Auschwitz, sondern nach Theresienstadt geschickt wurden.)
Natürlich konnten die Behörden auf den Kanalinseln, die den Deutschen bei der Erfassung und Deportation der Juden behilflich waren, nicht sicher wissen, welches Schicksal diese zu erwarten hatten. Aber ihnen mußte klar sein, daß die Deutschen die Juden ausgesucht hatten, um sie zu verfolgen, und daß sie diesen Menschen sehr wahrscheinlich ein noch schlimmeres Leben zugedacht hatten. Dennoch unternahmen die Behörden nichts, um die Deportationen zu verhindern. Die Polizei und die Beamten arbeiteten im Gegenteil bereitwillig mit den Deutschen zusammen. Zwar haben wir gesehen, daß die Behörden auf Jersey (allerdings nicht auf Guernsey) gegen die Verordnung protestierten, mit der die Juden zum Tragen eines Sterns gezwungen werden sollten. Doch wie Frederick Cohen in seiner bahnbrechenden Untersuchung über die Behandlung der Juden auf den Kanalinseln während der Besatzungszeit feststellt, ist es andererseits sehr bezeichnend, daß die Behörden sich wesentlich stärker dafür verwendeten, die Freimaurer zu schützen, die auf den Inseln lebten. 25 In einem britischen Geheimdienstbericht vom August 1945 heißt es: »Als die Deutschen ankündigten, ihre geplanten judenfeindlichen Maßnahmen in die Tat umzusetzen, wurde von keinem der Beamten auf Guernsey in irgendeiner Weise dagegen protestiert, und sie beeilten sich, die Deutschen in jeder Hinsicht zu unterstützen. Als dagegen Schritte gegen die Freimaurer angekündigt wurden, legte der Amtmann nachdrücklich Protest ein und unternahm alles mögliche, um die Freimaurer zu schützen.« 26
Wir können nicht mit Sicherheit wissen, was geschehen wäre, wenn die Behörden auf Guernsey vehement gegen die Deportation von Auguste Spitz, Therese Steiner und Marianne Grunfeld protestiert hätten. Wahrscheinlich hätte es kaum einen praktischen Unterschied gemacht – auch wenn es bis zum heutigen Tag ein stolzer Augenblick in der Geschichte Guernseys geblieben wäre –, doch es bleibt immer noch die Möglichkeit, daß ein deutlicher Protest das Leben dieser drei Frauen hätte retten können, die im Vereinigten Königreich Zuflucht gesucht hatten. Die Unterlassung eines solchen Protests ist jedenfalls schon für sich allein ein Schandfleck in der Geschichte der Insel.
Im selben Monat, in dem die drei von Guernsey Deportierten in Auschwitz ankamen, stattete Heinrich Himmler dem Lager einen weiteren Besuch ab. Am 17. Juli fuhr der Reichsführer-SS in das
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