Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
Vom Netzwerk:
Lager ein, 15 Monate nach seiner ersten Inspektionsreise. Kazimierz Smolén, einer der polnischen politischen Gefangenen, kannte Himmler noch von früher: »Er sah nicht unbedingt wie ein Militär aus. Er trug eine Brille mit Goldrändern. Er war etwas dick und hatte einen kleinen Spitzbauch. Er sah aus wie – es tut mir leid, ich will niemandem zu nahe treten –, er sah aus wie ein Dorfschullehrer.« 27
    Bei seinem Besuch sah der gewöhnlich wirkende Mann mit Brille und einem kleinen Spitzbauch ein völlig verändertes Lager, mit einem völlig neuen, im Bau befindlichen Komplex in Birkenau. Er studierte eingehend die Pläne für die geplante Erweiterung des Lagers und besichtigte das rund 60 Quadratkilometer große Sperrgebiet (»Interessengebiet des K. L. Auschwitz«) rund um das Lager, das unmittelbar der Lagerverwaltung unterstand. Dann verfolgte er die Selektion eines neu eingetroffenen Transports und die anschließende Vergasung im »weißen Häuschen«. Danach wohnte Himmler einem Empfang ihm zu Ehren im Haus von Gauleiter Bracht im nahe gelegenen Kattowitz bei. Am folgenden Tag kehrte er zurück und besichtigte das Frauenlager in Auschwitz Birkenau. Hier war Himmler Zeuge der Bestrafung einer der weiblichen Häftlinge mit 25 Stockhieben, eine Strafe, die er selbst genehmigt hatte. Am Ende war Himmler so befriedigt über das, was er in Auschwitz gesehen hatte, daß er den Lagerkommandanten Rudolf Höß in den Rang eines Obersturmbannführers beförderte.
    Mit der Karriere von Höß ging es aufwärts. Der Besuch des Reichsführers-SS war ein enormer Erfolg. Doch es blieb noch ein letztes Problem: Seine SS-Oberen waren besorgt über die große Zahl gelungener Fluchtversuche aus dem Lager. Solche Ausbrüche waren kein neues Phänomen in der Geschichte des Lagers: Der erste, der schriftlich überliefert ist, ereignete sich bereits am 6. Juli 1940. Doch was zu einer Warnung führte, die im Sommer 1942 an alle KZ-Kommandanten weitergegeben wurde, waren die Umstände eines besonders wagemutigen Ausbruchs aus Auschwitz, der sich nur wenige Wochen vor Himmlers Besuch ereignet hatte.
    Ausgedacht hatte sich den Plan Kazimiers (Kazik) Piechowski, ein polnischer politischer Gefangener, der sich seit 18 Monaten in Auschwitz befand. 28 Er war sich der damit verbundenen Risiken mehr als bewußt: »Es hatte bereits die verschiedensten Fluchtversuche gegeben, doch die meisten scheiterten, denn sobald beim Morgenappell eine Person vermißt wurde, begannen [die SS-Männer und die Kapos] den Vermißten mit besonders ausgebildeten Hunden zu suchen, und dann fanden sie ihn unter ein paar Brettern oder zwischen Zementsäcken versteckt. Wenn sie ihn dann gefunden hatten, hängten sie ihm ein Schild um den Hals mit der Aufschrift: ›Hurra! Hurra! Ich bin wieder da!‹, und dann mußte er eine große Trommel schlagen, im Lager auf und ab und schließlich zum Galgen gehen. Er ging sehr langsam, als wollte er sein Leben verlängern.« Ein anderer beunruhigender Gedanke für jeden potentiellen Ausbrecher waren die furchtbaren Konsequenzen für die zurückgebliebenen Häftlinge, wenn sich herausstellte, daß jemand aus ihrem Block geflohen war. Wie im Fall von Pater Maksymilian Kolbe wurden zehn Häftlinge aus dem Block des Entflohenen ausgesondert, die zum Tod durch Verhungern verurteilt wurden. »Das rief bei manchen Häftlingen eine regelrechte Lähmung hervor«, sagt Piechowski, »doch andere wollten nicht darüber nachdenken, was passieren würde. Sie wollten um jeden Preis dieser Hölle entrinnen.«
    Bevor Piechowski vor diesem doppelten Problem stand, aus dem Lager auszubrechen und gleichzeitig Repressalien gegen die Zurückgebliebenen zu vermeiden, mußte er zunächst ein näher liegendes Hindernis überwinden, das darin bestand, einfach zu überleben. Zunächst arbeitete er im Freien im Schnee in einem der schlimmsten Kommandos überhaupt: »Die Arbeit war schwer und das Essen miserabel. Ich war auf dem besten Weg, ein ›Muselmann‹ 29 zu werden – so haben die SS-Männer Häftlinge bezeichnet, die jeden Kontakt zur Realität verloren hatten. Ich fühlte mich hilflos.« Dann wurde er der Nutznießer eines unerwarteten Glücksfalls. Er wurde für ein anderes Arbeitskommando ausgewählt: »Ich schloß mich diesem Kommando an, und während wir durch das Lagertor gingen, fragte ich den Mann neben mir: ›Wo gehen wir hin?‹ Und er sagte: ›Du weißt es nicht? Na, du hast gewonnen! Weil wir im Magazin arbeiten. Es ist

Weitere Kostenlose Bücher