Auschwitz
andere standen in einem Zusammenhang mit Himmlers Erklärung vom 19. Juli 1942. Die Planungsphase war beendet; die fundamentale Entscheidung war bereits Monate zuvor getroffen worden. Die Nationalsozialisten hatten sich entschlossen, die Juden zu ermorden. Jetzt ging es nur noch um die praktische Umsetzung dieses Entschlusses. Und die SS-Männer waren davon überzeugt, daß sie auf praktischem Gebiet Hervorragendes leisteten.
Im Verlauf des Jahres 1942 sollten die Deutschen das Tempo, in dem sie bei der Verfolgung der »Endlösung der Judenfrage« die Juden Europas umbrachten, enorm steigern. Doch die Tötungskapazität von Auschwitz beschränkte sich auf die Gaskammern des »roten« und des »weißen Häuschens« (nachdem regelmäßige Vergasungen im Krematorium des Stammlagers infolge der im 2. Kapitel erörterten Schwierigkeiten abgebrochen worden waren). Deshalb sollte Auschwitz trotz seiner späteren Bekanntheit bei der Ermordung der polnischen Juden im Jahr 1942 nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Himmler konnte seiner Sache – die Ermordung aller polnischen Juden bis Ende 1942 – nicht deshalb so sicher sein, weil es Auschwitz gab, sondern weil er wußte, daß die Mehrzahl der Massenmorde in drei neuen Lagern durchgeführt würde, die bereits in den Wäldern Polens errichtet waren: drei Orte, die im Unterschied zu Auschwitz kaum in das Bewußtsein der Allgemeinheit eingedrungen sind – Bełżec, Sobibór und Treblinka. Daß diese Lager heute nicht in einem Atemzug mit Auschwitz erwähnt werden, ist eine Art schwarze Ironie, da die Nationalsozialisten selbst ihre Namen aus der Geschichte getilgt sehen und sichergehen wollten, daß alle materiellen Spuren von ihnen beseitigt wurden, nachdem sie ihre mörderische Aufgabe erfüllt hatten. Lange vor Kriegsende hatte die SS die Lager zerstört, und das Gelände konnte wieder aufgeforstet oder landwirtschaftlich genutzt werden. Dagegen wurde von der Lagerbesatzung in Auschwitz kein Versuch unternommen, das Lager als einen physischen Ort zu zerstören. Sein Vorgänger war ein bewährtes Vorkriegsmodell innerhalb des NS-Systems – das Konzentrationslager –, und diese Vorläufer der Vernichtungslager sollten ursprünglich bewußt nicht den Blicken der Öffentlichkeit entzogen werden. Ein Lager wie Dachau wurde an den Rändern einer Kleinstadt errichtet, und das hatte für das Regime einen propagandistischen Vorteil, weil es mit einem solchen Lager seinen Willen demonstrieren konnte, Personen zu inhaftieren und »umzuerziehen«, die es als seine Gegner betrachtete. Erst nachdem in Auschwitz erstmals Menschen massenhaft ermordet wurden, trat das Schizophrene seiner Aufgabe deutlicher hervor – eine geistige Verfassung, welche die Lagerbesatzung dazu bewog, vor dem Verlassen des Lagers die Gaskammern in die Luft zu sprengen, den übrigen massiven Komplex jedoch weitgehend unversehrt zu hinterlassen.
Etwas völlig anderes entstand während des Jahrs 1942 in Bełżec, Sobibór und Treblinka. Für die Existenz dieser Lager gab es im NS-Staat keine Vorbilder, und es dürfte in der gesamten Menschheitsgeschichte keine Vorbilder dafür gegeben haben. Ihre Anlage orientierte sich an keinem früheren Modell, und in vieler Hinsicht verkörpern ihre Geschichte und ihr Betrieb die Einzigartigkeit der »Endlösung der Judenfrage« durch den Nationalsozialismus vollkommener als Auschwitz.
Bełżec, das als erstes gebaut werden sollte, war das einzige Lager, dessen Anfänge vor 1942 liegen. Im November 1941 begannen die Bauarbeiten an einem kleinen Lager etwa 500 Meter entfernt vom Bahnhof Bełżec, einer abgelegenen Stadt im Südosten des besetzten Polen. Zunächst hatte die SS beabsichtigt, mit diesem Lager ein lokales Problem an Ort und Stelle zu lösen – »arbeitsfähige« Juden aus der Umgebung zu töten. Ebenso wie in Chełmno die Gaswagen ursprünglich primär dazu gedacht waren, die Juden aus dem Ghetto Łódz zu töten, so sollten in Bełżec ursprünglich »unerwünschte« Juden aus dem Gebiet Lublin getötet werden.
Im Dezember 1941 kam SS-Hauptsturmführer Christian Wirth nach Bełżec, um den Posten des Lagerkommandanten anzutreten. Er war 56 Jahre alt. Ursprünglich gelernter Tischler, Frontsoldat im Ersten Weltkrieg, wo er sich durch Tapferkeit auszeichnete, trat 1931 in die NSDAP ein und war in den dreißiger Jahren bei der Kriminalpolizei in Stuttgart tätig. 1939 wurde er Mitarbeiter im Euthanasieprogramm und war einer der Organisatoren der
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