Auschwitz
den ankommenden Transporten ausgesucht und mußten die Leichen beerdigen, die Gaskammern reinigen und die riesigen Mengen an Kleidern und anderen Habseligkeiten sortieren, die sich rasch in dem Lager anhäuften. In der ersten Zeit wurden diese Juden bereits nach wenigen Tagen selbst getötet, doch das brachte für die SS-Besatzung bald Probleme mit sich. Nicht nur, daß man diese Arbeitskräfte nicht mehr über den wahren Zweck der Duschräume täuschen konnte, wenn man sie dorthin schickte, sondern nach ihrer Ermordung mußten neue Arbeitskräfte ausgesucht und eingearbeitet werden. Wenn man sie andererseits länger am Leben ließ, hatte man es mit einer eigenen Gruppe von Häftlingen zu tun, die nichts zu verlieren hatten, da sie wußten, daß sie irgendwann einmal selbst umgebracht würden. Sie hatten also Zeit, über ihr Schicksal und über Möglichkeiten eines Widerstands nachzudenken. An diesem Dilemma für die Lager-SS ließ sich nichts ändern: Wie überwachte man Menschen, die wissen, daß sie eines Tages von den Menschen getötet werden, in deren Macht sie sich befinden?
Die zweite Kategorie von Arbeitern waren ukrainische Kriegsgefangene (»Trawnikis«). Etwa 100 von ihnen, aufgeteilt in zwei Züge, mußten einfache Aufsichtsfunktionen im Lager übernehmen. Berüchtigt für ihre Brutalität, hatten viele dieser Ukrainer früher in der Roten Armee gekämpft, waren von der SS in einem Lager in Trawniki, südöstlich von Lublin, ausgebildet worden und konnten auf diese Weise den entsetzlichen Bedingungen der Kriegsgefangenenlager entkommen. Und dann gab es natürlich noch die Deutschen, die dritte Kategorie. Doch Wirth hatte den Betrieb seiner Todesfabrik so elegant an »fremdvölkische« Arbeiter delegiert, daß nur etwa 20 deutsche SS-Männer zur Bedienung der Tötungsmaschine in Bełżec erforderlich waren. Bis zum März 1942, mit der Ankunft des ersten Transports in Bełżec, hatte Wirth den Traum Himmlers verwirklicht. Er hatte ein Vernichtungslager errichtet, das es ermöglichte, Hunderttausende Juden zu ermorden, und das von einer Handvoll Deutschen geführt werden konnte, die jetzt nicht mehr den seelischen Belastungen ausgesetzt waren, unter denen die Erschießungskommandos im Osten gelitten hatten.
Im selben Monat, in dem das Lager Bełżec seinen Betrieb aufnahm, im März 1942, begannen die Deutschen mit der Errichtung eines weiteren Vernichtungslagers: Sobibór, unmittelbar nördlich von Bełżec, aber ebenfalls im östlichen Polen. Die Anlage und der Betrieb des Lagers Sobibór folgte dem Vorbild Bełżecs. Ebenso wie Wirth hatten auch Franz Stangl, der Kommandant dieses Lagers, und die meisten der dort eingesetzten SS-Männer an der Aktion T 4 mitgewirkt. Und ebenso wie in Bełżec waren dort rund 100 Trawnikis, die meisten wiederum ehemalige Kriegsgefangene, als Lagerwachen eingesetzt. Auch dieses Lager war winzig im Vergleich zu Auschwitz-Birkenau (wenngleich es mit einer Fläche von 400 mal 600 Metern mehr als doppelt so groß war wie Bełżec) und ursprünglich ebenso wie Bełżec in zwei innere Lager aufgeteilt, eine Aufnahmezone und eine Vernichtungszone, untereinander verbunden durch einen Korridor (»Schlauch«). Da die SS-Männer jedoch nicht wie in Bełżec in konfiszierten Häusern der Umgebung untergebracht werden konnten, wurde ein drittes Lager mit Unterkünften für die SS und die Trawnikis geschaffen.
Die Überlegungen hinter dieser Anlage von Sobibór waren dieselben wie bei Bełżec. Die Neuankömmlinge sollten den Eindruck haben, es handle sich um einen Zwischenaufenthalt zur Desinfektion, und man werde sie präventiv gegen mögliche Krankheiten behandeln, und sollten anschließend möglichst schnell durch den Korridor in die Gaskammern getrieben werden. Ebenso wie in Bełżec waren die drei Bereiche innerhalb des Gesamtlagers durch Flechtzäune voneinander getrennt, so daß die Ankommenden das Schicksal, das sie erwartete, erst ahnen konnten, wenn es zu spät war. Der erste Transport kam im Mai 1942 in Sobibór an, und hier wurden im Lauf von etwas mehr als einem Jahr eine Viertelmillion Menschen ermordet.
Ebenfalls im Mai 1942 begannen die Bauarbeiten am dritten und letzten großen Vernichtungslager, Treblinka. Es war kein Zufall, daß hier mehr Menschen umkamen als in einem der übrigen Vernichtungslager, da dieses Lager von den Erfahrungen der SS in Bełżec und Sobibór profitierte. Die Zahl der in Treblinka Umgekommenen – schätzungsweise zwischen 800 000 und
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