Auschwitz
900 000 Menschen – ist fast so hoch wie die der Opfer in Auschwitz. Treblinka lag nordwestlich von Sobibór, eine kurze Eisenbahnreise von Warschau entfernt. Das Warschauer Ghetto stellte eine der größten Ansammlungen von Juden im Generalgouvernement dar, und das Lager Treblinka diente in erster Linie dem Zweck, auch diese Juden zu ermorden.
Trotz der großen Zahl der Ermordeten innerhalb eines kurzen Zeitraums gingen die Morde in keinem der Vernichtungslager reibungslos vor sich. Es sei noch einmal daran erinnert, daß die Nationalsozialisten ein Projekt in Angriff nahmen, das noch nie jemand vor ihnen versucht hatte – die mechanisierte Vernichtung von Millionen Männern, Frauen und Kindern innerhalb weniger Monate. So grauenhaft die Analogie sein mag, die Deutschen hatten drei Todesfabriken errichtet, und wie bei jedem industriellen Betrieb mußten deren sämtliche Komponenten zeitlich genau aufeinander abgestimmt sein, um das gewünschte Endergebnis zu erzielen. Wenn die Judentransporte nicht pünktlich an den Rampen ankamen, wenn die Gaskammern für die Masse der Neuankömmlinge zu klein waren, wenn es irgendwo im System zu Engpässen kam, dann konnte ein blutiges Chaos ausbrechen. Und in der ersten Zeit sollte genau das passieren.
In Bełżec zeigte sich bald, daß die Kapazität der Gaskammern für die geplante Zahl der Menschen, die dorthin transportiert werden sollten, nicht ausreichte, weshalb das Lager im Juni für etwa einen Monat geschlossen wurde, damit neue Gaskammern gebaut werden konnten. In Sobibór bereiteten sowohl die Größe der Gaskammern als auch die lokalen Transportverbindungen Probleme. Zwischen August und Oktober stellte das Lager seinen Betrieb ein, während die SS sich bemühte, die Schwierigkeiten zu beheben. Doch die größten Probleme für die SS tauchten in Treblinka auf, und das hatte wahrhaft grauenhafte Szenen zur Folge.
Zunächst lief in Treblinka für die SS alles mehr oder weniger nach Plan: Täglich kamen hier 6000 Juden an, die sogleich getötet wurden. Doch bis zum August hatte sich die Zahl der Ankömmlinge verdoppelt, und der Betrieb des Lagers brach innerhalb kurzer Zeit zusammen. Dennoch weigerte sich der Lagerkommandant, Dr. Irmfried Eberl, es zu schließen. Eberl hatte den Ehrgeiz, so August Hingst, ein SS-Mann aus Treblinka, möglichst viele Juden auf einmal zu töten und dabei alle anderen Lager zu überflügeln. Deshalb, so Hingst, seien viele Transporte angekommen, die von den Leuten in der Aufnahmebaracke und an den Gaskammern nicht mehr abgefertigt werden konnten. 32 Infolgedessen wurden viele Opfer einfach im unteren Lager erschossen, doch das deckte natürlich das Täuschungsmanöver auf, die Grundlage für einen möglichst reibungslosen Betrieb des Lagers – niemand glaubte mehr, daß es sich um eine Desinfektionsanlage handelte, nachdem man die Leichen auf dem Boden herumliegen sah. Aus diesem Grund hielten die Züge etwa 3 Kilometer vor dem Lager auf dem Bahnhof Treblinka und warteten dort, bis im Lager wieder alles aufgeräumt war. Die Verhältnisse in den Güterwaggons der Züge wurden so entsetzlich, daß viele bereits dort starben. Oskar Berger kam mit einem Transport Ende August in Treblinka an, als das Chaos seinen Höhepunkt erreicht hatte: »Als wir ausstiegen, bot sich uns ein entsetzlicher Anblick: Hunderte Leichen lagen überall herum. Haufen von Bündeln, Kleidern, Koffern, alles durcheinander. SS-Männer und Ukrainer standen auf den Dächern der Baracken und schossen wahllos in die Menge. Männer, Frauen und Kinder stürzten blutend zu Boden. Die Luft war erfüllt von Schreien und Weinen.« 33 Unter solchen Bedingungen war es unmöglich, die tatsächlichen Vorgänge im Lager vor den Polen, die in den Weilern und Dörfern in der Umgebung wohnten, geheimzuhalten. »Der Gestank der verwesenden Leichen war einfach entsetzlich«, sagt Eugenia Samuel, damals ein Schulmädchen aus der Gegend. »Wegen dem Gestank konnte man weder ein Fester öffnen noch ins Freie gehen. Sie können sich einen solchen Gestank nicht vorstellen.« 34
Inmitten dieses entsetzlichen Chaos gelang es der Lagerbesatzung, eine kaum glaubliche Zahl von Juden umzubringen. Innerhalb eines guten Monats, von Ende Juli bis Ende August 1942, kamen in Treblinka schätzungsweise 312 500 Menschen um. 35 Das bedeutet, daß während dieses einen Monats in Treblinka täglich etwa 10 000 Menschen vergast oder erschossen wurden, soviel wie in keinem anderen Vernichtungslager –
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