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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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von allem abwenden, was ihm unangenehm war. Unter normalen Umständen hatte er nichts mit dem rohen mechanischen Ablauf des Tötungsprozesses zu tun; es gab in der Regel keinen Grund für ihn, dorthin zu gehen, wo die Vergasungen stattfanden. Die einzige Erinnerung daran, daß Menschen der verschiedensten Nationalitäten hierhergebracht wurden, waren die vielen verschiedenen Währungen, die über seinen Tisch gingen – französische Francs, tschechische Kronen, polnische Zloty (und immer wieder US-Dollar) –, sowie ein Sortiment scharfer Getränke, die sie den Neuankömmlingen abgenommen hatten: griechischer Ouzo, französischer Cognac oder italienischer Sambuca. Gröning erzählt: »Da hat der Alkohol eine große Rolle gespielt. Wir kriegten ein gewisses Quantum jeden Tag, das wir gar nicht mehr abholten, und manchmal abholten und ein großes Saufgelage machten.« Sie seien »so disziplinlos [gewesen], daß wir uns besoffen ins Bett gelegt haben und wir hatten – da es ja Partisanengebiet war, es waren ja keine Wachposten mehr da in Birkenau – am Bett unsere Koppel mit der Pistole hängen, und wenn jemand zu faul war, das Licht auszumachen, wurde es ausgeschossen, ganz einfach. Hat auch kein Spieß was gesagt, wenn da Löcher oben in der Decke waren.«
    Auch wenn Gröning nicht das Wort »genießen« gebrauchte, um seine Zeit in Auschwitz zu schildern, dürfte dies dennoch eine treffende Bezeichnung dafür sein, wie er diese Zeit empfunden hatte: »Auschwitz, das Stammlager war eine kleine Stadt. Es war eine kleine Stadt mit seinem Klatsch und Tratsch. Es war eine Stadt, die einen Gemüseladen hatte, wo man Knochen kaufen konnte, aus denen man sich noch eine Brühe fertigen konnte. Es gab eine Kantine, es gab ein Kino, es gab ein Theater mit regelmäßigen Vorführungen, es gab einen Sportverein, in dem ich auch war. Es war Jubel, Trubel, Heiterkeit – wie eine Kleinstadt.« Und dann gab es noch eine zweite »positive« Seite des Lebens in Auschwitz für Oskar Gröning – seine Kameraden: »Ich muß sagen, daß viele, die dort gearbeitet haben, keine Dummköpfe waren, sondern intelligent.« Als er das Lager 1944 schließlich wieder verließ, ging er mit einem gewissen Bedauern: »Die besondere Situation in Auschwitz hat zu Freundschaften geführt, von denen ich heute noch sage, ich sehe mit Freude darauf zurück.«
    In einer Nacht allerdings, gegen Ende 1942, wurde Grönings gemütliches Leben in Auschwitz durch einen unerwartet freigegebenen kurzen Blick auf den Alptraum des realen Tötungsbetriebs gestört. Während er in seiner Baracke im SS-Lager am Rand von Birkenau schlief, wurden er und seine Kameraden von Lärm geweckt. Man sagte ihnen, mehrere Juden, die man in die Gaskammern führen wollte, seien geflohen und in den nahe gelegenen Wald gerannt. »Man sagte uns, wir sollten unsere Pistolen mitnehmen und den Wald durchsuchen«, sagt Gröning. »Wir fanden niemanden.« Dann schwärmten Gröning und seine Kameraden aus und bewegten sich auf den Vernichtungsbereich des Lagers zu. »Wir gingen in Sternformation auf dieses Bauernhaus zu. Es wurde von außen in ein diffuses Licht getaucht, und an der Vorderseite lagen sieben oder acht Leichen vor der Tür. Es waren Männer, die wahrscheinlich zu fliehen versucht hatten, und man hatte sie gefunden und erschossen. Vor dem Eingang des Bauernhauses standen mehrere SS-Männer, die uns sagten: ›Es ist Schluß. Ihr könnt euch wieder schlafen legen.‹«
    Von Neugier getrieben, beschlossen Gröning und seine Kameraden, sich nicht schlafen zu legen, sondern sich statt dessen noch ein wenig im Freien herumzutreiben. Dann beobachteten sie, wie ein SS-Mann eine Gasmaske anlegte und eine Büchse durch eine Öffnung in der Seitenwand des Gebäudes entleerte, in dem sich die Gaskammer befand. Aus dem Inneren der Kammer kam ein summendes Geräusch, das eine Minute lang »in Schreien umschlug«, worauf es still wurde. »Dann ging ein Mann, ich weiß nicht, ob er ein SS-Führer war, zu der Tür mit einem Guckloch, schaute hinein und prüfte, ob alles in Ordnung war und die Leute alle tot waren.« Gröning schildert seine Empfindungen in diesem Augenblick, als er die banalen Verrichtungen des Mordes aus nächster Nähe mit ansah, »wie wenn Sie zwei Lastwagen sehen, die auf einer Straße aufeinander zufahren und zusammenstoßen. Und Sie fragen sich: ›Muß das so sein? Ist das nötig?‹ Und natürlich ist das durch die Tatsache beeinflußt, die man zuvor konstatiert

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