Auschwitz
herzzerreißenden Szene, in der ihr Töchterchen rief: »Laßt meine Mami los, laßt meine Mami los!« und sich an die Hosen des Gestapobeamten hängte, wurde Elsa Abt abgeführt und ihr Kind Freunden in Pflege gegeben.
Als sie in Auschwitz ankam, bemerkte sie einen Transport mit jüdischen Frauen: »Sie wurden schlimmer als Tiere behandelt, soweit wir das feststellen konnten. Diese SSMänner kamen und behandelten uns menschlich, aber die Jüdinnen wurden nicht menschlich behandelt – das war erschütternd.« Vor Auschwitz war Else Abt kaum Juden begegnet. »Ich bin nie in jüdische Geschäfte gegangen«, sagt sie, »und es gefiel mir nicht, wenn ich hörte, daß meine Mutter dort einkaufte, weil sie immer hohe Preise hatten. Deshalb habe ich nie in einem jüdischen Geschäft eingekauft, weil sie immer höhere Preise hatten und dann einen Rabatt gaben, und die Dummen glaubten, sie bezahlten nur die Hälfte. Das ist wahr, ich habe es in Danzig erlebt – sie haben die Preise immer so kalkuliert. Das ist meine persönliche Meinung. Aber ich habe nichts gegen die Juden. Als wir im Lager waren und ich krank wurde, kam eine Jüdin und wollte meinen Unterrock waschen. Sie wollte mir etwas Gutes tun.«
Nachdem man sie nach Auschwitz gebracht hatte, sagte man Else Abt, sie könne aus dem Lager entlassen werden, wenn sie ihrem Glauben abschwöre. Doch die Mehrzahl der Zeugen Jehovas verweigerte die entsprechende Unterschrift. Viele von ihnen, zu denen auch Else Abt gehörte, hielten die Lager für eine göttliche Prüfung: »Ich habe in der Bibel die Geschichte von Abraham gelesen. Und ihm hatte Gott aufgetragen, seinen Sohn zu opfern. Und in der Bibel steht, daß er dazu bereit war. Doch als unser Schöpfer Jehova sah, daß er dazu bereit war, hat er es ihm nicht erlaubt. Er wollte nur seinen Glauben prüfen. Und daran habe ich damals gedacht.«
Und so wurden die weiblichen Zeugen Jehovas die perfekten Hausangestellten für die SS-Führer in Auschwitz – den Polinnen bei weitem vorgezogen, die nur dann angestellt wurden, wenn es nicht anders ging. Else Abt arbeitete im Haus eines der hohen SS-Führer, seiner Frau und seiner kleinen Tochter. Sie machte den Hausputz, kochte das Essen und betreute das kleine Mädchen. Sie verrichtete ihre Pflichten gewissenhaft und mitfühlend und pflegte sogar die kleine Tochter, als diese krank wurde, wofür die Eltern ihr sehr dankbar waren.
Es konnte kaum wundernehmen, daß die Zeugen Jehovas die Lieblingshäftlinge von Rudolf Höß waren, und dies nicht nur, weil sie keinerlei Schwierigkeiten machten. Er war zum ersten Mal Ende der dreißiger Jahre in Sachsenhausen mit einer größeren Zahl von ihnen in Kontakt gekommen, als die Männer in Konzentrationslager geschickt wurden. Höß berichtet in seinen autobiographischen Aufzeichnungen von der außergewöhnlichen Kraft ihres Glaubens, die einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen hatte. Wenn diese Menschen die Prügelstrafe erdulden mußten, weil sie sich nicht an die Regeln des Lagers (damals noch Sachsenhausen) gehalten hatten, dann baten sie nicht um Gnade, sondern um weitere Strafen, um so ihren Glauben noch besser bekennen zu können. Er erlebte die Erschießung von zwei besonders fanatischen Zeugen Jehovas, die kurz vor ihrem Tod die Hände zum Himmel erhoben und mit verzückten Gesichtern ihr Schicksal erwarteten. Höß stellte sich vor, daß die frühen christlichen Märtyrer in einer ähnlichen Haltung in den Tod gegangen waren.
Auch die Vorgesetzten von Höß waren von dieser Glaubensfestigkeit beeindruckt. »Bei vielen Gelegenheiten«, schreibt er, »wiesen Himmler sowie Eicke immer wieder auf diesen gläubigen Fanatismus der Bibelforscher hin als Vorbild. Genauso fanatisch, so unerschütterlich wie der Bibelforscher an Jehova glaubt, genau so müsse der SS-Mann an die Idee des Nationalsozialismus, an Adolf Hitler glauben. Erst wenn alle SS-Männer solch gläubige Fanatiker ihrer Weltanschauung geworden wären, wäre der Staat Adolf Hitlers auf die Dauer gesichert.« 38
In Auschwitz beschäftigten Höß und seine Frau zwei dieser »Bibelforscherinnen« in ihrem Haus und waren gerührt, wie liebevoll diese sich um die Kinder kümmerten. Höß beschreibt einige der Zeugen Jehovas als »wunderliche Geschöpfe«. Höß vermerkte außerdem, daß die Zeugen Jehovas alle überzeugt waren, »daß die Juden nun gerechterweise zu leiden und zu sterben hätten, weil ihre Vorväter einst Jehova verrieten. 39 Diese Meinung wurde
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