Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
Vom Netzwerk:
allerdings von Else Abt nicht vertreten. Sie war überzeugt, daß die SSMänner ein Unrecht begingen – einem »Teufel« dienten –, wenn sie die Juden umbrachten. Sie war persönlich der Meinung, sie müsse ihren Glauben durch ihre »Haltung« kundtun. Das hatte eine eigenartige Lage zur Folge. Sie kümmerte sich gewissenhaft, fast liebevoll um die Tochter eines SS-Führers in Auschwitz, während die Gestapo sie von ihrem eigenen Töchterchen weggerissen hatte. Sie erklärt, wie sie versucht hatte, ihre Haltung mit Vernunftgründen zu rechtfertigen, indem sie sich sagte, sie müsse »für irgend jemanden etwas Gutes tun«, auch wenn es SSMänner waren. Sie räumt sogar ein, daß sie selbst im Haus Hitlers pflichtgetreu gearbeitet hätte, wenn man es ihr befohlen hätte. Was die ganze Sache noch komplizierter machte, war der Umstand, daß sie jederzeit das Lager hätte verlassen und zu ihrer Tochter zurückkehren können, wenn sie einen Revers unterschrieben hätte, daß sie ihrem Glauben abschwören wolle. Doch einen solchen Revers hat Else Abt nie unterschrieben: »Das wäre ein Kompromiß gewesen, und den bin ich nie eingegangen.«
    Als Else Abt schließlich bei Kriegsende in ihren Heimatort zurückkehren konnte, stellte sie fest, daß ihr Töchterchen von einem der wenigen Zeugen Jehovas versorgt worden war, der seinem Glauben entsagt hatte, um aus dem Konzentrationslager freizukommen. »Wir besuchten ihn und seine Frau, weil sie sich unserer Tochter angenommen hatten, und er weinte wie ein kleines Kind, weil er ein Feigling war.« Else Abt zeigte ihm gegenüber keine besondere Dankbarkeit, daß er und seine Frau sich um ihre Tochter gekümmert hatten: »Ich hätte mir [wegen ihr] keine Sorgen gemacht. Es hätte immer Menschen gegeben, die geholfen hätten. Wir waren nicht auf eine bestimmte Person angewiesen. Unser Schöpfer in seiner Weisheit schickt uns das Notwendige, wenn wir es brauchen, und wird stets eingreifen.« Ihre Tochter wurde später selbst eine Zeugin Jehovas. Else Abt sagt von ihr: »Sie wußte es und war froh darüber, daß ich treu geblieben war – nicht einem Menschen, sondern unserem Schöpfer Jehova, da er seine Hand über uns hält, wie ich während meiner Zeit in Auschwitz gespürt habe. Er kann alle Menschen ändern. Menschen, die uns gehaßt haben, begannen nachzudenken und hörten auf, uns zu hassen.« Menschen, denen die Glaubensgewißheit von Else Abt nicht vergönnt ist, muß es schwerfallen zu akzeptieren, daß ein Schöpfer seine Hand über die beiden Zeugen Jehovas gehalten hat, deren Erschießung Höß in Sachsenhausen miterlebte. Und offenbar hat Er seine Hand auch nicht über die Polen, sowjetischen Kriegsgefangenen, die Kranken, Juden und zahllose andere gehalten, die in Auschwitz auf so grausame Weise ihr Leben verloren. Doch es gehört zu den verwirrenden Aspekten der von Else Abt eingenommenen theologischen Position, daß solche Greuel für sie unmittelbar erklärt werden können, schlicht als ein Beweis für den Willen einer höheren Macht, deren Wege unerforschlich sind, zu der wir jedoch absolutes Vertrauen haben müssen. Wenn Gott zuläßt, daß dies oder jenes geschieht, dann gibt es dafür einen Grund; unser Verstand reicht lediglich nicht aus, um zu erkennen, welches der Grund dafür ist.
    Man sollte sich davor hüten, wie Himmler voreilige Vergleiche zwischen dieser Geisteshaltung und dem Fanatismus seiner Männer zu ziehen, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Zeugen Jehovas im Unterschied zu den SS-Männern den Grundsatz zu eigen gemacht hatten, mit Menschen freundlich und einfühlsam umzugehen. Trotz alledem, wenn man in der Erklärung von Else Abt »Jehova« durch »Hitler« ersetzt, gewinnen ihre Worte eine verblüffende Ähnlichkeit mit der weltanschaulichen Position von SS-Männern wie Höß.
    Bis zum Jahresende 1942 hatte die SS in Auschwitz für sich eine eigene kleine Welt aufgebaut. Die Männer hatten ihre Bediensteten und ihre feste Stellung, und sie hatten zum größten Teil eine funktionierende Methode entwickelt, sich von den Morden zu distanzieren. Und nicht nur in Auschwitz fand dieser Prozeß statt, aus einem Massenmord eine geregelte Beschäftigung zu machen; während derselben Zeit geschah dasselbe auch in Treblinka. Franz Stangl hatte den unfähigen Eberl als Kommandanten im September 1942 abgelöst und sofort damit begonnen, das Lager neu zu organisieren. Alle Transporte wurden gestoppt, bis die Leichen, die überall herumlagen, beseitigt

Weitere Kostenlose Bücher