Auschwitz
hat, ›ja, es ist eben Krieg‹, und wir sagten: ›Sie waren unsere Feinde.‹«
Später erlebte Gröning das Verbrennen der Leichen. »Dieser Kamerad sagte: ›Komm mit, ich will dir was zeigen.‹ Ich war so schockiert, daß ich nicht näher heranging – vielleicht 70 Meter von den Feuern entfernt. Das Feuer flammte auf, und der Kapo dort erzählte mir anschließend nähere Einzelheiten von der Verbrennung. Und es war widerlich – entsetzlich. Er machte sich darüber lustig, daß die Leichen, die zu Beginn des Verbrennens anscheinend Gase in den Lungen oder sonstwo entwickeln, sich aufzubäumen schienen und die Geschlechtsteile der Männer sich plötzlich in einer Weise aufrichteten, die er zum Lachen fand.« Der Anblick der Vergasungsanlage und die brennenden Scheiterhaufen des Krematoriums erschütterten vorübergehend das behagliche Leben, in dem sich Oskar Gröning in Auschwitz eingerichtet hatte. So sehr, daß er noch einmal zu seinem Vorgesetzten ging, einem SS-Untersturmführer, »ein Österreicher und im Grunde ein anständiger Kerl«, und machte seinen Gefühlen Luft. »Er hörte mich an und sagte: ›Mein lieber Gröning, was wollen Sie dagegen unternehmen? Wir sitzen alle im selben Boot. Wir haben uns verpflichtet, das zu akzeptieren – nicht einmal darüber nachzudenken.‹« Die Worte seines Vorgesetzten noch im Ohr, machte Gröning sich wieder an seine Arbeit. Er hatte einen Treueid geschworen, er glaubte, die Juden seien der Feind Deutschlands, und er wußte, daß er sein Leben im Lager immer noch so einrichten konnte, daß er die schlimmsten Schrecken nicht mit ansehen mußte. Also blieb er da.
Als einfacher SS-Mann wohnte Gröning mit mehreren seiner Kameraden zusammen in einer komfortablen Baracke. Doch das Leben für die höheren SS-Führer war noch besser. Viele wohnten mit ihren Angehörigen in konfiszierten Häusern im Zentrum der Stadt Auschwitz oder in unmittelbarer Nachbarschaft zum Lager an der Sola und erfreuten sich eines Lebensstandards, der alles übertraf, was sie hätten erreichen können, wenn man sie zur kämpfenden Truppe abkommandiert hätte. Sie lebten als Eroberer, und als Eroberer benötigten sie Sklaven, die ihnen ihr Essen kochten, ihre Häuser putzten und sich um ihre Kinder kümmerten. Doch das stellte sie vor ein Problem. In der nationalsozialistischen Rassenideologie waren jüdische und polnische Häftlinge den Deutschen gegenüber viel zu minderwertig, um ideale Hausangestellte abzugeben, denen man einen vertraulichen Zugang zum eigenen komfortablen Privatleben erlauben konnte. Außerdem mußte man befürchten, daß sie die Gelegenheit, außerhalb der Lagerumzäunung (wenn auch immer noch innerhalb des bewachten Interessengebiets des Konzentrationslagers Auschwitz) zu arbeiten, dazu nutzen würden, einen Fluchtversuch zu unternehmen oder gar Anschläge auf die deutschen Familien, bei denen sie arbeiteten, zu verüben.
Nie um eine Antwort verlegen, fanden die SS-Männer auch für dieses Problem eine Lösung. Sie beschäftigten eine Kategorie von Häftlingen, die überwiegend Deutsche waren und bei denen man sicher sein konnte, daß sie nie versuchen würden, sich gegen ihre Herren zu erheben oder zu fliehen: Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. In Deutschland bis 1931 unter der Bezeichnung »Ernste Bibelforscher« bekannt, hatten die Zeugen Jehovas 1933 erklärt, im großen und ganzen hätten sie kaum etwas gegen den nationalsozialistischen Staat; weltanschaulich waren sie ebenfalls Gegner der Juden und Kommunisten (wenn auch nicht in der offen feindseligen Weise wie die Nationalsozialisten). Ernsthafte Schwierigkeiten traten erst auf, als sie sich weigerten – da sie Pazifisten waren –, in die deutschen Streitkräfte einzutreten, worauf sie in Konzentrationslagern interniert wurden.
Else Abt war eine von mehreren hundert deutschen Zeugen Jehovas, die nach Auschwitz deportiert wurden. 37 1914 in Danzig geboren, wuchs sie als Lutheranerin auf und wurde später von Freunden in den neuen Glauben eingeführt. Sie heiratete einen Glaubensbruder, brachte 1939 eine Tochter zur Welt und versuchte so friedlich wie möglich zu leben. Doch ihre Probleme begannen, als ihr Mann sich weigerte, als Ingenieur in der deutschen Rüstungsindustrie zu arbeiten. Er wurde verhaftet, und sie entging einer Verhaftung nur, weil sie ihr Kind noch stillte. Doch als ihre Tochter zweieinhalb Jahre alt war, stand plötzlich die Gestapo vor ihrer Tür. In einer
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