Auschwitz
Stacheldraht hindurch und entkamen bis an den Stadtrand Warschaus, wo sie allerdings kaum weniger in Gefahr waren: »Nach zwei Jahren waren von den 80 Leuten, die sich in die Wälder geflüchtet hatten, noch ganze elf am Leben.«
Laut Stroops Bericht über den Einsatz – die wichtigste schriftliche Informationsquelle über den Ghettoaufstand aus jener Zeit – wurden im Laufe der Aktion 56 065 Juden gefangengenommen. Seinen Angaben zufolge waren während der Kämpfe etwa 7000 Juden und weniger als 20 deutsche Soldaten umgekommen – wobei er zweifellos die Verluste der Deutschen nach unten korrigiert hatte und die der Juden nach oben.
Trotz Stroops Versuche, den Aufstand im Warschauer Ghetto zu verharmlosen, war sich Himmler über die Bedeutung der Ereignisse durchaus im klaren. Mit ihrem großangelegten organisierten Widerstand hatten die Warschauer Juden ein Zeichen gesetzt, das möglicherweise Signalwirkung hatte. Himmler sah darin nur die Bestätigung, daß die Ghettos im Grunde nicht zu kontrollieren waren. Allerdings hatten sie ihre wesentliche Funktion ohnehin erfüllt. Himmler hatte bereits neue Pläne zur »Umsetzung« der »Endlösung« ins Auge gefaßt, und der Schlüssel lag in Auschwitz.
Im März 1943, nur wenige Wochen vor dem Ghettoaufstand in Warschau, fand in Auschwitz ein Ereignis von enormer Tragweite statt: In Birkenau wurde das erste Krematorium in Betrieb genommen. Die Anlage war das Ergebnis eines langwierigen Planungsprozesses. Im Oktober 1941 sollte der Neubau zunächst das alte Krematorium im Stammlager ersetzen, dann verlegte man den geplanten Standort nach Birkenau. 1942 wurde das ursprüngliche Konzept umgeworfen, worauf der SS-Architekt Walter Dejaco einen neuen Entwurf vorlegte: Den Kellerräumen, die ursprünglich als Leichenhallen konzipiert waren, wurden zwei neue getrennte Funktionen zugewiesen: Ein Raum sollte als Entkleidungsbereich dienen, der andere, der rechtwinklig zum ersten verlief, als Gaskammer. Mit Zyklon B gefüllte Büchsen sollten durch spezielle Luken im Dach in die Gaskammer eingeführt werden. Im Erdgeschoß befand sich das Krematorium mit fünf großen Öfen, jeder mit drei Ofentüren ausgestattet. Mittels eines kleinen Aufzugs sollten die Leichen von der Gaskammer zum Krematorium befördert werden.
Es ist nicht bekannt, an welchem Tag die SS-Führung die Umgestaltung des Gebäudes anordnete. Doch der nachträgliche Funktionswandel läßt sich anhand einer Reihe von Anweisungen aus der Bauabteilung von Auschwitz nachvollziehen. Beispielsweise sollte in die Türen der Gaskammer »Spione« eingebaut werden; außerdem wurde veranlaßt, daß sich die Türen entgegen der ursprünglichen Planung nach außen öffneten (um zu vermeiden, daß nach der Vergasung die Leichen die Türen blockierten). Weitere Maßnahmen waren die Entfernung einer Leichenrutsche und der Einbau weiterer Treppen in den Keller, ein deutliches Indiz dafür, daß die Opfer nun selbst in die anfänglich als Leichenhallen geplanten Kellerräume gehen sollten.
Anfangs hatte man nur ein Krematorium geplant, doch im Zuge dieser Neuerungen wurde beschlossen, weitere solcher Anlagen zu bauen. Im Sommer 1943 waren in Auschwitz-Birkenau insgesamt vier Krematorien mit angeschlossenen Gaskammern in Betrieb. Zwei von ihnen (Krematorien 2 und 3) basierten auf dem ursprünglichen Bauplan, der die Gaskammern im Keller vorsah, und lagen keine 100 Meter von der geplanten neuen »Rampe« in Birkenau entfernt (die erst im späten Frühjahr 1944 endgültig fertiggestellt wurde). Die beiden anderen Krematorien (Krematorien 4 und 5) befanden sich an einer entlegenen Stelle Birkenaus, in die Nähe der ursprünglichen provisorischen Gaskammern »Rotes Häuschen« und »Weißes Häuschen«. Die Gaskammern der Krematorien 4 und 5 waren nicht im Keller, sondern im Erdgeschoß, also auf derselben Ebene wie die Verbrennungsöfen – aus Sicht der Planer offensichtlich eine technische »Verbesserung«, da die Leichen nun nicht mehr vom Keller ins Erdgeschoß transportiert werden mußten. Die Krematorien selbst verfügten über einen großen Verbrennungsofen mit acht Türen. Die Kapazität aller vier Krematorien reichte aus, um pro Tag insgesamt 4700 Menschen umzubringen und deren Leichen zu entsorgen. Bei voller Ausnutzung der neugeschaffenen Tötungsanlagen konnte man innerhalb eines Monats 150 000 Menschen in Auschwitz ermorden.
Die soliden Ziegelsteingebäude der kombinierten Krematorien und Gaskammern
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