Auschwitz
zur Wehr zu setzen.
Bereits im Januar 1943, als es so aussah, als wollten die Deutschen das gesamte Ghetto räumen lassen, kam es zu ersten Widerstandsaktionen, die jedoch die Deportation einiger tausend Juden nicht verhindern konnten. Dennoch glaubte die jüdische Führung, daß ihr Einsatz die vollständige Räumung des Ghettos abgewendet hatte. Heute weiß man allerdings, daß die Nationalsozialisten ohnehin nur die Deportation von ungefähr 8000 Juden geplant hatten. Die Aufständischen fühlten sich jedoch darin bestärkt, daß sie in der Lage waren, die Pläne der Deutschen zu durchkreuzen, und rüsteten sich für den nächsten Einsatz: Sie rechneten damit, daß die Deutschen sehr bald versuchen würden, das Ghetto vollständig aufzulösen.
Ahron Karmi 3 , damals 21 Jahre alt, gehörte zu den jüdischen Widerstandskämpfern im Warschauer Ghetto. Er war im Vorjahr auf wundersame Weise dem Tod entronnen, als er aus dem Zug gesprungen war, der seinen Vater und ihn nach Treblinka bringen sollte. »Mein Vater sagte: ›Geh! Denn wenn ich dich rette, rette ich ein ganzes Universum.‹ Und dann sagte er noch: ›Wenn einer von euch überlebt, soll er für uns blutige Rache nehmen.‹ Dann mußten wir uns voneinander verabschieden. Und wir wußten, daß es ein Abschied für immer war.«
Karmi und die anderen Widerstandkämpfer organisierten, was immer sie an Waffen auftreiben konnten, und errichteten aus Möbeln provisorische Verteidigungsstellungen; andere Ghettobewohner hoben unterirdische Bunker aus. Doch trotz dieser fieberhaften Vorbereitungen gab sich niemand der Illusion hin, daß die Deutschen geschlagen werden könnten. »Wir rechneten nicht damit, daß wir sie besiegen würden«, sagt Karmi. »Es ging lediglich darum, nicht in die Züge zu steigen, wenn sie es von uns verlangten. Wenn wir einen Tag lang durchhielten, dann würden wir es am nächsten Tag wieder probieren.«
Karmi ging mit fünf oder sechs seiner Kameraden im dritten Stock eines Hauses in Stellung, von wo aus sie die Ghettomauer überblicken konnten. Eine deutsche P38 umklammert, wartete er auf den Anmarsch der Deutschen. Es ging das Gerücht, daß das Ghetto bis zum 20. April, Hitlers Geburtstag, geräumt werden solle – gewissermaßen als Geschenk an den Führer. Und es war tatsächlich Hitlers Geburtstag, als Karmis Einheit ihren ersten Einsatz hatte: »Wir hörten, wie die Deutschen anrückten, an die 300 Mann – in militärischer Formation, als würden sie an die Front marschieren. Sie kamen direkt auf unsere Stellung zu.«
Im selben Moment warf der Anführer seiner Gruppe zwei Handgranaten kurz hintereinander in Richtung der Deutschen, als Signal für Karmi und die anderen, das Feuer zu eröffnen: »Sofort schoß ich mit meiner Pistole auf die Soldaten. Die Deutschen schrien »Hilfe!« und gingen hinter einer Mauer in Deckung. Das war das erste Mal, daß wir Deutsche wegrennen sahen. Sonst waren wir es immer gewesen, die vor ihnen weggelaufen waren. Sie hatten nicht damit gerechnet, daß Juden kämpfen konnten. Ich sah ihr Blut und konnte mich nicht daran satt sehen. Ich dachte: ›Deutsches Blut.‹ Und ich erinnerte mich an die Worte meines Vaters: ›Wenn einer von euch überlebt, soll er für uns blutige Rache nehmen.‹ Dann brüllte der Kommandeur der [deutschen] Einheit seine Männer an: ›Was? Ihr versteckt euch? Weg von Mauer!‹ Als sie hinter der Mauer hervorkamen, sahen sie, wo die Schüsse herkamen, und schossen zurück. Aber das war mit unserem Feuer nicht zu vergleichen – wir hatten ja nur Handgranaten und ein paar Pistolen. Als sie losfeuerten, gingen sämtliche Fensterscheiben zu Bruch, und die Luft war voller Rauch und Glas.«
Die Deutschen, die unter dem Befehl von SS-Brigadeführer Jürgen Stroop standen, hatten mit diesem entschlossenen Widerstand nicht gerechnet. Zehntausende von Juden hatten sich versteckt, die meisten von ihnen in unterirdischen Bunkern. Die Straßen waren menschenleer – man würde das ganze Ghetto nach Juden durchkämmen müssen. Doch die Deutschen fanden eine einfache und grausame Lösung für ihr Problem: Sie würden die Juden ausräuchern. Straße für Straße, Häuserblock für Häuserblock setzten sie das Ghetto in Brand. Angesichts der militärischen Übermacht der Deutschen und des sich rapide ausbreitenden Feuers traten Ahron Karmi und seine Mitkämpfer den Rückzug an. Sie flüchteten sich in die Kanalisation, kamen an der Ghettomauer wieder nach oben, krochen unter dem
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