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Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Scheffler
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Geschwindigkeitsbegrenzung. Die Autobahn ist ziemlich voll. Aber ich muss einige Lkws überholen. Hundertsechzig schafft der Toyota ganz locker. Ich ziehe soeben am zweiten Brummi vorbei, da schießt von hinten ein BMW heran, blendet das Licht auf und ab und klemmt sich an meine hintere Stoßstange. Nee, denke ich, die drei Lkws überhole ich auch noch. Wegen dir Dödel setze ich mich nicht dazwischen. MOL-MW- … – Mann, muss der arm dran sein, dass er nicht in Berlin gemeldet ist und B-MW tragen darf. Er tobt. Immer wieder bremst er kurz ab, um dann wie ein Wahnsinniger zu beschleunigen. Ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren und kann sein Gesicht nicht sehen, aber wahrscheinlich schreit und fuchtelt er mit roter Bombe herum. Dann bin ich an den Lkws vorbei und ziehe auf die rechte Spur. Im Vorbeidüsen zeigt er mir seinen rechten Mittelfinger. Mir ist es egal. In drei, vier Kilometern darf man eh nur noch hundert fahren. Aber mich hat die Sache doch schon ziemlich genervt und unkonzentriert werden lassen. Ich biege auf den nächsten Parkplatz ein. Hinter zwei Polizeiwagen steht der MOL-BMW Ich steige aus und sehe, wie der erregte Fahrer gerade aus dem grünen Bulli steigt, in dem immer die Personalien aufgenommen werden. Ein Polizist begleitet ihn. »Okay, Sie dürfen noch etwas aus Ihrem Auto holen«, sagt er. Und schiebt grinsend nach: »Übrigens, falls es Sie etwas aufheitert: Sie waren heute bis jetzt mit Abstand der Schnellste. Das ist kaum noch zu toppen.« Da fängt der große, dicke Mann aus Märkisch Oderland an zu lächeln, geht zu seinem Kofferraum, wühlt etwas darin herum, holt eine Flasche Lutter und Wegner-Sekt heraus, schüttelt sie wie ein Bekloppter, lässt es ploppen, hopst albern umher und besprüht sich und den Polizisten über und über mit dem klebrigen Schaumwein. Ich glaube, er war noch nie in seinem Leben so glücklich.

Ich vermisse nichts
    Seitdem ich in ein Dorf nach Brandenburg gezogen bin, werde ich gelegentlich als Landei bezeichnet, vorgestellt und tituliert. Das ist scherzhaft gemeint, aber letztlich doch herablassend und dumm. Allein vom Wortgehalt her. Ein Landei ist ökologisch, gesund und von im Rahmen der Möglichkeiten glücklichen Hühnern gelegt worden. Ein Landei ist also eine prima Sache und wird allgemein zum Frühstück sehr geschätzt. Das Pendant zum Landei ist die Großstadtpflanze. Eine Pflanze in der Großstadt kann nicht gedeihen. Sie verkümmert in Blumenkästen auf dem Balkon, in Hinterhöfen oder vollgepinkelten Parks. Wer von sich stolz behauptet, eine »Berliner Pflanze« zu sein, stellt sich selbst ein schlechtes Gesundheitszeugnis aus. Seit ein paar Monaten wohne ich nun im Dahme-Seengebiet, und schon bin ich ein Landei, ein Hinterwäldler. Nach einundzwanzig Jahren, die ich in Berlin gelebt habe, soll ich mich mit den Gepflogenheiten der Zivilisation nicht mehr auskennen. Über zwei Jahrzehnte habe ich die sogenannte Zivilisation in Berlin kennengelernt. Und da werde ich ernsthaft immer wieder gefragt, ob ich die Großstadt denn nicht vermisse. Ja, was soll ich denn da vermissen? Meine Hochparterrewohnung am Arkonaplatz vielleicht, in der die Kälte vom Keller in den Fußboden kroch und unsere Heizkosten so hoch waren, als würden wir die Hölle anfeuern? Wo beim kleinsten Sonnenstrahl sich die Trommler im Park versammelten und nervten? Wo man bei jedem Nach-Hause-Kommen mit dem Auto eine halbe Stunde lang einen Parkplatz suchen und dafür auch noch bezahlen musste? Sollte ich den Straßenverkehr vermissen? Den Kreisverkehr am Großen Stern oder Theodor-Heuss-Platz, wo man aus dem Schwitzen gar nicht mehr rauskommt, weil ausschließlich rücksichtslose Idioten, Nichtskönner und unsichere Fahrer wie ich unterwegs sind? Ich vermisse auch nicht das U- oder S-Bahn-Fahren. Schon allein das Warten in der Station: Man ist umgeben von jungen Leuten mit oder ohne Migrationshintergrund, die sich grundsätzlich schreiend unterhalten, die mit Kopfhörern, aber trotzdem laut, schreckliche Musik hören und über ihre Mobiltelefone Beziehungskatastrophen besprechen. Beim Einsteigen wanken einem Frauen entgegen, die eigentlich Ameisen heißen müssten, denn sie können das Zehnfache ihres Körpergewichts an Einkaufstüten tragen. Hinterher trotten Männer, die ausschließlich ihr Körpergewicht tragen, aber das ist auch nicht wenig. Während der Fahrt dann wie üblich die Psychopathen, Bettler, Säufer und Musikanten. Würde das jemand vermissen? Häufig sind

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