Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten
junge Leute mit Rucksäcken unterwegs, die keine Ahnung haben, wie man sich auf engem Raum mit einem dicken Paket auf dem Kreuz bewegt. Sie sind sehr aufgeregt und drehen sich, ihren Buckel schwingend, hin und her. Unsereins muss ausweichen oder Abstand halten, der meist nicht vorhanden ist. Und dann die Touristen. Menschen Anfang fünfzig, die Sätze und Wörter sprechen, die man einfach nicht mehr hören kann: »Da ging dann die Mauer lang, von heute auf morgen.« – »Unrechtsregime.« – »Die ham ja früher Erichs Lampenladen gesagt.« – »Also diese Reichtagskuppel – schon imposant.« Und das alles in einer Lautstärke, als wären sie alleine im Wagen. Da waren mir die stillen Biertrinker noch am liebsten. Beim Aussteigen dann die, die nicht warten können, bis die Bahn anhält, bevor sie aufstehen. Es ist immer genügend Zeit da, aber sie stehen schon eine Station vor dem nächsten Bahnhof auf. Alle kommen raus, auch wenn jede Menge Bekloppte schon reinwollen, wenn längst noch nicht die letzte Mutter mit ihren Einkaufstüten ausgestiegen ist. Jedes Mal war ich froh, wieder aus der Bahn heraus zu sein, bis auf die Male, wenn ich am Hackeschen Markt, an der Friedrichstraße oder am Zoo aussteigen musste. Ja, manchmal ließ sich das nicht vermeiden. Massen von Menschen auf einem Haufen sind mir verhasst. Ein amorphes Gemenge hysterischer Gestalten, die eine Stadt mit durchschnittlichen Qualitäten und ein paar Highlights begaffen. Ich mit meinen durchschnittlichen Qualitäten und einigen Highlights würde mir verbitten, begafft und dumm bequatscht zu werden. Nein, Touristenzentren vermisse ich nicht, und wohl auch kein echter Berliner tut das.
Mancher reckt nun den Arm und schnippst mit den Fingern: »Straßencafés, in Groß Köris gibt es doch bestimmt keine Straßencafés!« – Stimmt. In Groß Köris gibt es derzeit kein einziges Straßencafé. Aber die Straßencafés in Berlin vermisse ich auch nicht. Ich hätte schon gern ein Straßencafé oder einen Biergarten. Aber nicht mit den Laptop-Heinis und Koksern, die über irgendwelche Projekte reden, Caipirinha trinkenden Schwulen, bei denen sich lautstark Eifersuchtsdramen abspielen, ständig stillenden Müttern, die mit anderen ständig stillenden Müttern ihre Kinder untereinander vergleichen. Das brauche ich nicht.
Ich habe jetzt selbst einen Garten. Und bei schönem Wetter trinke ich dort gern mit meinen Freunden und Nachbarn zusammen ein oder mehrere Biere. Ich vermisse nichts. Außer vielleicht einen Billardsalon. Aber wer weiß? Eventuell mache ich ja eines Tages selbst einen auf.
NACHWORT
Im Zimmer-frei-Fragebogen (nicht, dass ich jemals gefragt worden wäre, aber ich weiß davon) soll man angeben, was denn das wichtigste Ereignis in seinem Leben gewesen sei. Ich habe eine Weile darüber nachgedacht und bin dann zu der Auffassung gelangt, dass das wichtigste und entscheidendste Ereignis meines Lebens war, in der Oberstufe des Gymnasiums nicht in den Leistungskurs Deutsch 1 bei Ridderbusch, sondern durch glückliche Fügung in den LK D2 bei Depping gekommen zu sein. Alle anderen wichtigen Ereignisse wie mein Umzug nach Westberlin, meine Teilnahme am Streik an der Freien Universität, die Mitgründung der Zeitschrift Salbader und der Lesebühne Dr. Seltsams Frühschoppen, meine Hochzeit mit Sabine und der Autorenvertrag für dieses Buch waren letztendlich eine Folge dieser Fifty-fifty-Entscheidung. Ohne diese kreative, sinnliche und freigeistige Atmosphäre, die in unserem Kurs herrschte, ohne die großartigen, zum Teil exzentrischen Freundinnen und Freunde und ohne den in seinem Wertbewusstwein wunderbar ruhenden Kursleiter hätte ich nie die geistige Bereitschaft aufgebracht, mich allen Gelderwerbszwängen zum Trotz an etwas zu werfen, das unter Kunst firmiert. Ohne den LK Deutsch 2, der sich später mit einigem Recht HLK (Hochleistungskurs) nannte, wäre ich möglicherweise Beamter im Nordrhein-Westfälischen Innenministerium geworden. – Eine schlimme Vorstellung.
Nun ist es da, das Buch. – Eine Sammlung von Geschichten aus den letzten zehn Jahren, die allesamt auf der Bühne vor Publikum erprobt sind und von mir für dieses Buch überarbeitet wurden. Der Titel hätte auch lauten können: »Die wollen alle nur spielen, sagen sie, aber am Ende zerfleischt man sich selbst.« – Das wäre zu lang gewesen und womöglich irreführend. Aber wenn man es mal so sieht: Die sind Menschen, Dinge und Gedanken, die zunächst recht zutraulich als
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