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Auserkoren

Titel: Auserkoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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die Blätter rascheln. Es ist, als wolle der Baum, dass ich dableibe, obwohl ich ihn mit dem Küchenmesser verletzt habe.
    Der Tempel strahlt wie ein Leuchtfeuer. Die Fenster im Haus des Propheten sind hell erleuchtet (sein Haus ist größer als eine ganze Wohnwagenreihe). Ich sehe, wie Leute darin hin und her gehen. Der Mond kriecht hinter den Bergen hervor, er verschluckt ein paar von den Sternen.
    Eine Zeitlang sitze ich einfach nur da und staune darüber, dass ich so allein sein kann, staune darüber, dass uns der Prophet besuchen will, bis Mutter Sarah mit matter Stimme nach mir ruft. »Kyra Leigh, komm rein. Wir gehen jetzt zu Mutter Claire hinüber.«
    »Ich komme bald wieder«, sage ich zu dem Baum, und auch diesmal rascheln die Blätter im Wind.

     
     
    Als ich näher komme, höre ich ihre Stimmen. Ich höre die Kinder, wie sie zu Mutter Claires Wohnwagen eilen. Sie lachen, eines quengelt, ein anderes, noch sehr kleines Kind schreit. Vielleicht eine von den Zwillingen? Ich beeile mich, um sie einzuholen.
    Meine Brüder und meine Schwestern.
    Die Kinder meines Vaters.
    Es sind der Reihe nach:
     
    Adam, 17.
    Finn, 16.
    Emily, 15.
    Nathaniel, 15.
    Ich, fast 14.
    Jackson, 13.
    Robert, 13.
    Laura, 12.
    Thomas, 11.
    Margaret, 10.
    Candice, 10.
    Abe, 9.
    April, 8.
    Christian, 6.
    Meadow, 5.
    Marie und Ruth, 4.
    Carolina, 3.
    Trevor, 2.
    Foster, 1.
    Mariah, 8 Monate.
    Und zwei weitere Babys sind unterwegs.

     
     
    Wir warten.
    Wir warten alle gemeinsam. Vater, alle Mütter, alle Kinder. Wir Mädchen haben unsere besten Sonntagskleider an. Meine Brüder haben auch ihre Sonntagsanzüge angezogen. Sie haben ihre Krawatten umgebunden, manche sitzen schief. Meine Haare sind so fest geflochten, dass ich Kopfschmerzen bekomme.
    »Ist das nicht aufregend?«, fragt Mutter Victoria. »Der Prophet und seine Apostel kommen hierher.«
    Vater lächelt. Er setzt Trevor und Foster auf seinen Schoß und lächelt.
    »Vielleicht«, sagt Mutter hoffnungsvoll, und die Worte sprudeln aus ihrem Mund, »vielleicht bist du erwählt worden.«
    Sie spricht leise, aber alle vierundzwanzig haben gehört, was sie gesagt hat. Sogar Mariah verstummt. Wir blicken Mutter Sarah an, dann Vater. Sein Lächeln ist jetzt so breit, dass es von einem Ohr zum anderen geht.
    »Hyrum sagt, mein Name sei gefallen«, bestätigt Vater. Seine Wangen sind gerötet. Alle schauen ihn an. »In den Zusammenkünften hat man über uns gesprochen.«
    Die Zeitschaltuhr am Herd geht los, und Mutter Claire eilt schnell hin, die Absätze ihrer Schuhe klappern über das Linoleum. Von meinem Sitzplatz aus kann ich sie sehen; Küche, Esszimmer, Wohnzimmer, alles ist nur ein einziger großer Raum in diesem Wohnwagen. Sie zieht Gebäck aus dem Herd.
    Mutter Victoria faltet die Hände unter dem Kinn. »Über uns hat man gesprochen? Ist das dein Ernst, Richard?«
    »So hat es Hyrum gesagt.« Vater drückt die beiden
Jungen auf seinem Schoß an sich und einer lacht. »Gestern hat er mit mir gesprochen. Er hat mir mitgeteilt, dass wir Besuch bekommen werden.«
    »Und er hat recht gehabt«, sagt Mutter Claire von der Küche aus. Sie lächelt beinahe.
    Mit einem Mal bin auch ich aufgeregt. Jedermann kann sehen, dass der Prophet und seine Apostel gesegnet sind. Sie haben richtige Häuser. Sie haben schöne Autos. Vielleicht … und bei diesem Gedanken schlägt mein Herz bis zum Hals … vielleicht wird auch bei uns jetzt alles anders. Vielleicht war es doch zu schlimm von mir zu wünschen, der Prophet wäre tot.
    »Ich war standfest im Glauben«, sagt Vater. »Ich war immer ein treuer Jünger.«
    Mir wird warm ums Herz, wenn ich das Lächeln meines Vaters sehe.
    Mein guter Vater.
     
     
    Ich weiß noch, wie ich auf dem Schoß meines Vaters gesessen habe. So klein, so niedlich war ich damals (ich habe Fotos gesehen, die es beweisen). Meine Haare waren weißblond. Ich hatte die gleiche Haarfarbe, die Carolina heute hat.
    Ich trug ein hellblaues Kleidchen, mit einer rosafarbenen Borte. Und ich fütterte Vater mit Erdbeeren, eine nach der anderen steckte ich in seinen Mund. Dann schmiegte ich mich in seine Halsbeuge. Und er lachte und küsste mein Gesicht und sagte zu mir, wie sehr er mich liebt. Mich, seine Kyra.

    »Kyra, Kyra Leigh, Leigh, Leigh« , sang er fröhlich.
    »Kyra, Kyra Leigh, Leigh, Leigh«, sang ich zurück. »Kyra, Kyra ich, ich, ich.«
    Und Vater erwiderte: » Kyra, Kyra du, du, du.«
     
     
    Ich blicke zum Fenster, das nach Osten geht, hinaus auf die Wüste. Der

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