Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
mir nur verschwörerisch zugezwinkert, und ich wusste, Mama hatte verloren. Es war ja auch nicht viel gewesen, nur ein kleines Weinpfützchen, wenn ich es beschämenderweise mit meinem heutigen Konsum verglich. Es war einfach köstlich gewesen, und ich konnte selbst heute noch das fruchtige Aroma auf meiner Zunge schmecken. Schon seltsam, welche Erinnerungen man für immer behielt. Vorsichtig nahm ich eine Flasche aus einer der unteren Reihen und stellte mit Freude fest, dass der Inhalt lediglich fünf Jahre alt war. Das war verglichen mit all den anderen Weinen wirklich ein Jungfuchs, und ich redete mir selbst gut zu, dass es schon in Ordnung sei, sich gerade diese Flasche zu nehmen. Ein Cabernet Sauvignon, damit konnte man definitiv nichts verkehrt machen.
Gut gelaunt verließ ich den Keller und ging zurück ins Haus. Gerade als ich wieder absperren wollte, hielt ich inne. Wo war Victor?
Über die Erinnerung an vergangene Zeiten und die sorgfältige Flascheninspizierung hatte ich meinen treuen, plüschigen Bodyguard völlig vergessen. Aber gut, es gab ja eine kleine Katzenklappe, die unten in der Eingangstür eingelassen war. Wenn er genug frische Luft geschnappt hatte, würde er schon von selbst wieder reinkommen. Sich ein wenig austoben zu können hatte er sich redlich verdient, nachdem er so brav die letzten Tage mit mir den Hausarrest verbracht hatte. Auch Katzen bekamen Lagerkoller, da war ich mir sicher.
Ich ging in die Küche und fischte in einer der zahlreichen Schubladen nach einem Korkenzieher. Mit einem lauten „Plopp“ verließ der Korken die Flasche. Weich und würzig stieg mir der Duft des Cabernet in die Nase. Den ersten Schluck Wein goss ich in ein Glas und leerte dieses in die Spüle. Zum einen sollte man nie gleich den ersten Tropfen trinken, um den Genuss eventueller Korkreste zu vermeiden. Zum anderen war ich ein klein wenig abergläubisch. Vor langer Zeit hatte ich mal eine wahre Geschichte über eine Deutsche gelesen, die sich in einen Afrikaner verliebt hatte. Dieser Afrikaner hatte sich später als neuer Stammeshäuptling aus Benin herausgestellt. Benin galt als die Wiege des Voodoo. Die Lektüre des Buches hatte mich an so mancher Stelle meinen Schlaf gekostet, hatte die Autorin doch während zahlreicher Afrikabesuche die tatsächliche Existenz und Kraft dieses Glaubens, gemeinhin als Hoodoo bezeichnet, am eigenen Leib erfahren müssen. Nun ja, was sollte ich da jetzt sagen? Ich war die neue Gebärmutter des Todes, also was Aberglaube und derlei Mystizismus betraf, war ich nun mittlerweile über jeden Zweifel erhaben. An einer Stelle des Buches beschrieb die Autorin, wie die Großmutter ihres Geliebten von jedem besonderen Getränk, das gereicht wurde, den ersten Schluck auf die Erde schüttete, um die Ahnen zu ehren und ihnen für diese Gabe zu danken. Dieser Gedanke hatte mich seither fasziniert, und so goss ich von jedem Wein oder Sekt daheim die ersten Tropfen in den Abfluss. Gut, das war jetzt nicht wirklich die Erde, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass allein die Geste zählte. Und irgendwohin führten die Rohre meines Spülbeckens schließlich auch.
Also war’s Jacke wie Hose.
Ja, lachen Sie ruhig.
Ich schenkte mir erneut ein, stellte die Flasche auf die Anrichte und nahm den ersten Schluck. Sorgsam ließ ich den Rotwein auf meiner Zunge kleine Wellen schlagen, während ich versuchte, sein ganzes Aroma in mich aufzunehmen. Er schmeckte so köstlich, dass ich kurz die Augen schloss, um mich ganz darauf zu konzentrieren. In meinem Kopf formte sich das Bild eines heißen Sommerabends irgendwo in Frankreich. Ich saß auf der kleinen Veranda eines Hauses, vor mir jede Menge blühender Lavendelfelder, die sich im Wind wogen, dazu das Glas Rotwein in meiner Hand. Sehnsüchtig nahm ich jede Sekunde dieser Vorstellung in mir auf, das intensive Violett der Lavendelblüten, den Geruch des Sommers, die Hitze der frühen Abendsonne. Ich sah Daron, wie er sich neben mich auf die Bank an der Hauswand setzte, seinen Arm um mich legte und mit mir einfach nur den Augenblick genoss.
Ach, Daron …
Mit einem tiefen Seufzer öffnete ich die Augen, um mich in Franziskas Küche wiederzufinden.
Allein.
Ohne Daron.
Hatte mich dieser Traum für vielleicht eine Minute das Glück vollkommener Sorglosigkeit kosten lassen, so war der Kontrast zum Hier und Jetzt umso härter. Traurigkeit erfüllte mein Herz und zog es wie mit Blei beschwert in Richtung Boden. Erneut wallte die Angst in mir
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