Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
eindringlich ermahnt, nur vermummt nach draußen zu gehen? Ich stieß einen leisen Fluch aus, zog mir hastig die Kapuze über den Kopf und wandte mich wieder an meinen kleinen Beschützer.
„Jetzt besser?“
Umgehend hörte Victor mit seiner Show auf und kam mir wohlig schnurrend um meine Beine gestrichen. Lobend streichelte ich ihm über den Rücken. Dieser Kater war eine Wucht. Ich wäre ohne weiter dran zu denken einfach so ins Freie marschiert, wenn er nicht aufgepasst hätte.
„Gib’s zu. Du bist doch nicht einfach nur ein Kater. So wie du über mich wachst, musst du so etwas wie ein verzauberter Ritter oder dergleichen sein. Ich jedenfalls habe noch keine so intelligente Katze wie dich kennengelernt. Danke, kleiner Freund!“, bedankte ich mich ausführlich bei meinem Bodyguard und schwor mir: Wenn das alles hier vorbei war, dann hatte Victor ein lebenslanges Abo auf Katzenleckerchen bei mir gut.
Gut verhüllt öffnete ich die Haustür und betrat mit Victor den Garten. Die Nacht brach bereits am Horizont herein, doch es war gerade noch hell genug, dass ich keine Außenbeleuchtung anschalten musste. Der Keller befand sich wenige Schritte links von der Eingangstür ums Eck herum. Vorsichtig stieg ich die alten Steinstufen hinab zur der weiß gestrichenen Tür. Es brauchte einige Anläufe, bis ich den richtigen Schlüssel ins Schloss stecken konnte. Keine Ahnung, wofür Franziska so viele Ersatzschlüssel hatte, wahrscheinlich waren auch welche vom Cubarium dabei. Der fünfte jedenfalls passte. Ein metallisches Klicken ertönte, und mit einem leisen Quietschen gab die Tür unter meinem Druck nach. Ich vernahm ein fragendes Maunzen und blickte die Treppe hoch. Auf der obersten Stufe stand Victor und lugte argwöhnisch in meine Richtung.
„Ist schon in Ordnung“, entgegnete ich ihm halb in der Tür stehend, „geh du nur eine Runde im Garten spazieren, ich komme hier unten schon zurecht. Beeile mich auch, versprochen.“ Als hätte der Kater jedes einzelne Wort verstanden, drehte er sich um und machte sich aus dem Staub. Er hat sich seine Pause redlich verdient, dachte ich und trat in den leicht modrig riechenden Raum. Dort unten empfing mich nur Dunkelheit.
Nachdem ich eingetreten war, suchte ich automatisch mit der Hand auf der rechten Seite nach einem Lichtschalter und fand ihn tatsächlich. Ein kurzes Klick, und schon begannen die Leuchtröhren an der Decke zu surren. Ein nicht gerade schmeichelhaftes Licht, aber ich war ja auch nicht hier, um mich vor einem Spiegel zu präsentieren. Der Raum war nicht sonderlich groß, jedoch groß genug, dass sich an der rechten Seite geschätzte hundert Weinflaschen aneinanderreihten. Die Regale reichten vom Boden bis unter die Decke, und ich fragte mich, wer um alles in der Welt all den Wein trinken sollte.
Und, noch wichtiger: Welchen sollte ich bloß nehmen?
Auf jeden Fall den jüngsten, das war klar. Ich hatte keine Lust, mir einen sündhaft teuren Wein von vor zwanzig oder mehr Jahren zu greifen und mir dann nachsagen zu lassen, ich würde die Gastfreundschaft ausnutzen. Das gehörte sich einfach nicht.
So fing ich an der hinteren Seite des Kellers an, willkürlich Flaschen aus den Regalen zu ziehen, erst auf Augenhöhe, dann ging ich in die Hocke. Einige wirklich kostspielig aussehende Etiketten sprangen mir ins Auge, ich las hier Bordeaux und dort Merlot, einmal zehn Jahre alt, dann fünfzehn …
Langsam hangelte ich mich Flasche für Flasche an der Wand entlang. Manche waren so verstaubt, dass ich mir gar nicht erst die Mühe machte, den Dreck von der Beschriftung wegzupusten. Die lagen eindeutig zu lange da, als dass ich deren Inhalt mal einfach so zwischen einer Talk- und einer Quizshow vernichten wollte. Da hatte ich einfach meine Prinzipien. Wenn schon einer guter Wein, dann sollte er mit Genuss und Anstand getrunken werden. So wie Papa es mir beigebracht hatte. Ein Schmunzeln legte sich auf mein Gesicht, und für einen kurzen Moment stimmte mich eine Erinnerung fröhlich.
Mein Vater und ich, wie er mir mein allererstes Glas Wein einschenkte.
Wie er mir erklärte, was es mit diesem besonderen Getränk auf sich hatte, was die Farbe über den einzelnen Charakter eines Weines aussagte und wie man ihn schließlich standesgemäß genoss. Da war ich gerade zwölf gewesen. Meine Mutter hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als sie mit der fertigen Wäsche aus dem Keller kam und mich sah, wie ich meinen ersten Schluck nahm. Doch Papa hatte
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