Auserwaehlt
die Augen geöffnet.
Nachdem sie weg war, sah ich endlich klar.“
Er blickte Kranich provozierend an. „Wer ist denn schuld an den schlechten
Dingen, die mir ständig passiert sind?“
„Frauen?“
„Frauen, genau.“ Ellenkamps Mundwinkel zuckte. Vielleicht war das früher einmal
ein ironisches Lächeln gewesen. Heute war es Hass. „Frauen haben meine Kindheit
verhunzt. Frauen haben meine Gefühle verletzt.“ Seine Augen fixierten Kranich.
„Und dann diese dauernde Bevorzugung der Mädchen ...“
„Wer hat die Mädchen bevorzugt?“ Kranich war alarmiert. „Ihre Klassenlehrerin?“
Sein Gesicht war wieder auf die weiße Wand gerichtet, als meditiere er.
„Konnten Sie nicht mithalten damals in der Schule? Waren die Mädchen einfach
besser gewesen? Oder hatten die nur die besseren Noten bekommen, weil sie
Mädchen waren? Weil die so nett gelächelt haben? Die Mädchen mussten niemals
nachsitzen, stimmt's?“
Ellenkamp lächelte
die Wand an. Sein Lächeln war das Lächeln eines batteriebetriebenen
Kinderspielzeugs.
Kranich zog ein Foto von Helga Kramer aus ihrer Mappe und legte es vor Ellenkamp
auf den Tisch. „Kennen Sie diese Frau?“
Wieder das Lächeln.
„Am 5. Juli haben sind Sie mit dem ICE von Leipzig nach Berlin gefahren.“
Kranich blieb ruhig. „Sie sind dieser Frau im Zug begegnet, habe ich recht?“
Er schwieg.
„War Helga Kramer Ihre Lehrerin gewesen? Wollten Sie sich rächen, weil sie
immer die Mädchen bevorzugt hat?“
Für eine Sekunde dachte Clara, etwas Echtes in seiner Mimik gesehen zu haben,
doch dann war es wieder weg.
„Ich weiß nicht,
was Sie für Probleme haben“, er sah Kranich mitleidig an. „Ich kenne diese Frau
nicht. Mein Leben ist positiv. Ich kann es manchmal selbst kaum
fassen, wenn ich aufstehe, wie sich alles verändert hat zum Positiven und wie
gut es mir geht.“
Kranich atmete nur.
„Während des Prozesses der letzten Jahre habe ich herausgefunden, dass komplexe
Zusammenhänge existieren. Zunehmend durchschaute ich diese komplexen
Zusammenhänge, die ganze Welt ist doch nicht so, wie uns die Medien das
vorgaukeln, und ich bin auf Dinge gestoßen, die noch niemand zuvor entdeckt
hat.“
„Das tut weh, wenn die Mädchen dauernd alles besser wissen, stimmt's?“
„Unsere ganze Gesellschaft wird doch gelenkt von den Medien, die Bedürfnisse
sind gar nicht die Bedürfnisse der Menschen, sie werden doch künstlich erzeugt
als riesige Werbeprodukte, den wenigsten Menschen ist das überhaupt klar, was
hinter den Kampagnen steht. Sehen Sie sich doch an, was im Fernsehen läuft!“
„Ihre Lehrerin Frau Kramer war schuld, dass Sie die achte Klasse wiederholen
mussten, stimmt's?“
„Sie müssen Ihre Einstellung ändern, Frau Oberkommissarin. Das Denken, das
Fühlen, die Muster, die Ängste, die Abhängigkeiten, dann verändert sich alles.
Bei mir war das ein Durchbruch mit kaum vorstellbaren Auswirkungen. Kennen Sie
Paulus von Tarsus?“
„Paulus? Den aus der Bibel?“ Die Bibel war ein gutes Stichwort, fand Kranich.
„Herr Ellenkamp, lesen Sie die Bibel? Sind Sie religiös?“
Er lächelte verächtlich.
„Herr Ellenkamp.“ Kranich fiel es immer schwerer, ruhig zu bleiben. „Am 16. Mai
wurden Sie verhaftet, weil Sie auf einer Veranstaltung der radikalen Islamisten
am Potsdamer Platz eine Frau attackiert haben.“ Sie blätterte in ihren
Unterlagen. „Ruth Brunner kam aus der Schweiz nach Berlin, um hier ein paar
Tage Urlaub zu machen. Frau Brunner hat nur den Kopf geschüttelt, als Sie an
dem Stand vorbei lief. Das war alles. Daraufhin haben Sie die Frau zu Boden
geworfen und mit dem Fuß mehrmals in den Bauch getreten, dann haben Sie ihren
Kopf gegen den Randstein getreten.“
Kranich zwang sich, den Mann anzusehen. Sein Gesicht war jetzt vollkommen
versteinert.
„Dabei hat Frau Brunner nur den Kopf geschüttelt!“ Kranichs Augen traten
hervor. „Hat Ihre Freundin auch den Kopf geschüttelt, als Sie keinen mehr
hochgekriegt haben?“
Er blieb unbeweglich, als habe er irgendwann beschlossen, sich nie mehr beleidigen
zu lassen.
„Herr Ellenkamp. Stehen Sie der radikalen Gruppierung der Salafisten nahe?“
„Der Erhabene sandte seine Schriften zu den Menschen als eine Richtschnur für
das Leben.“ Er sah durch Kranich hindurch. „Wer glaubt, ist erfüllt. Wer
glaubt, setzt der Leere etwas entgegen, nur wer glaubt, kann ihm dienen.“
Kranich sah fragend in das dunkle Glas, hinter dem sie ihre Kollegen wusste.
„Meinen Sie Gott?“ versuchte sie es noch
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