Auserwaehlt
einmal. „Hat er Ihnen gesagt, was Sie
tun sollen?“
„Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen.“
„Welche Zauberinnen?“ Kranich war aufgestanden und fuhr sich mit beiden Händen
durch die kurzen Haare. Der Mann war stärker verwirrt, als sie angenommen
hatte. „War Helga Kramer eine Zauberin? Oder sie?“
Die Hauptkommissarin hielt ihm wieder das Foto von Stella Krefeld hin.
„Herr Ellenkamp, sind Sie auserwählt?“
Er sah kurz auf. Schweigen. Kranich setzte sich wieder.
„Herr Ellenkamp.“ Es klang wie eine Drohung. „Sie unterzeichnen regelmäßig als
ein gewisser Santo. Wer ist das?“
Er reckte den Kopf. Sein Adamsapfel trat deutlich hervor. „Werde ich zitiert?“
Kranich blieb stur: „Wer ist Santo?“
Plötzlich erhob sich der Mann. Der Sicherheitsbeamte in der Ecke trat einen
Schritt auf ihn zu und zückte Handschellen.
„Alles in Ordnung.“ Kranich wusste nicht, warum sie das sagte. Sie traute dem
Mann nicht über den Weg. Was, wenn er sich gleich auf sie stürzen würde?
„Er hat uns eine Botschaft mitzuteilen“, sagte sie.
Zu ihrem Erstaunen ging Ellenkamp darauf ein, er schloss für einen Moment die
Augen und sprach mit dem Pathos eines schlechten Schauspielers:
„Ich werden alle vernichten, die meine Göttlichkeit beschneiden, vernichten bis
auf die letzte Zelle und keine Gnade werde ich zeigen. Ich bin Santo! Der
Kapitalismus und seine Schwestern, die Globalisierung, die Ausbeutung, sie
halten unsere Herzen gefangen! Die Weltbank ist ein Gefängnis der Seelen! Doch
ich bin der rechtmäßige Herrscher des Universums, von den Göttern auserwählt
und von falschen Göttern betrogen.“ Er schloss die Augen halb, während er
hervorstieß: „Tod den Feinden des Santo.“
„Setzen Sie sich wieder.“
Er gehorchte.
„Herr Ellenkamp.“ Kranichs Stimme bebte vor Aufregung. Sie hatte ihn fast
soweit. „Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was Sie sagen, kann und wird
vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, zu jeder
Vernehmung einen Verteidiger hinzuzuziehen. Wenn Sie sich keinen Verteidiger
leisten können, wird Ihnen einer gestellt.“
„Haben Sie die beiden Frauen getötet?“, fragte sie laut.
Kranich hing an seinem Gesicht. Sie hatte das Gefühl, etwas in seinem starren
Blick wollte brechen. Etwas in ihm wollte ein Geständnis ablegen. Sie kannte
diesen Moment.
Doch dann war es vorbei. Der Moment war verpasst.
Kranich sank etwas in sich zusammen.
Ellenkamp war wieder zur Maske erstarrt.
„Bei Ihnen ist doch sowieso jeder Mann ein potenzieller Vergewaltiger.“ Verächtlich
musterte er sein Gegenüber, seine Stimme klang jetzt wieder normal. „Also habe
ich sie vergewaltigt.“
Kranich spannte sich an. „Wen haben Sie vergewaltigt?“
„Das Mädchen.“
Sie tippte auf Stella Krefeld. „Dieses Mädchen?“
Er lehnte sich zurück. „Was passiert mit all den Frauen, die eine Vergewaltigung
vortäuschen? Ich habe mich erkundigt, Ihre Kollegen geben sogar zu, dass auf
jede angezeigte Falschbeschuldigung 3 bis 10 weitere nicht angezeigte
Falschbeschuldigungen kommen! Ein Hauptkommissar sagt sogar, dass
sich alle Sachbearbeiter von Sexualdelikten einig sind, dass deutlich mehr als
die Hälfte der angezeigten Sexualstraftaten vorgetäuscht werden.“
Er sah zur Glasscheibe und erhob die Stimme. „Und jetzt frage ich Sie. Warum
werden Falschbezichtigungen
von Amts wegen nicht konsequent juristisch verfolgt? Warum werden denn bei Falschbeschuldigungen keine gezielten Ermittlungen in diese Richtung
angestellt?“
Kranich packte die Fotos ein und ging wortlos zur Tür.
„Weil Frauen wie Sie ermitteln“, rief er ihr nach. „Mein Richter wird eine Frau
sein, habe ich recht? Die Frauen hassen mich, weil ich sie durchschaut habe.
Internationale Untersuchungen sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Frauen vor Gericht seltener verurteilt und milder bestraft werden als Männer.“
Die Hauptkommissarin verließ den Raum.
Es war nahezu totenstill, als Kranich zu ihren Kollegen zurückkehrte. Clara,
Hagen und Leonhard saßen schweigend da. „Die Milch, bitte“, war alles, was in
den nächsten Minuten zu hören war.
„Was denkt ihr?“ Kranich klang schroffer als gewollt.
„Das ist kein echter Kapitalismuskritiker.“ Leonhard schielte zu Clara.
Clara schüttelte den Kopf. „Der Mann hat überhaupt keine Inhalte.“ Sie kritzelte
ein Gesicht in den Kaffeefleck auf ihren Unterlagen. „Meines Erachtens handelt
es sich um eine klassische
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