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Ausgebremst

Ausgebremst

Titel: Ausgebremst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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die Sinnlosigkeit des Sports erkannt hätte, dem ich mein Leben verschrieben hatte. Um diese Sinnlosigkeit hatte ich von Anfang an gewußt, sie war es ja, die mich anzog. Ich lief aus nackter Angst um mein Leben davon.
    Als der Finne in Monaco nicht auftauchte, hatte ich sofort ein schlechtes Gefühl. Niemand von uns wußte, wo er stecken könnte. Damals hatten wir noch keine Handies, und so konnte ich ihn auch nicht telefonisch erreichen.
    Am Samstag sperrte ich meinen Laden zu und machte mich auf den Weg ins Fahrerlager, wo ich beim elf-Transporter läutete.
    Zuerst beantwortete niemand mein Klingeln. Offenbar genügte ein Blick auf die Überwachungskamera, um mich als ungebetenen Gast zu identifizieren, als einen der unzähligen Fans, die glaubten, auf derart dreiste Weise in das Innere der Formel-1-Welt vordringen zu können.
    Als ich aber nicht aufgab und immer stürmischer läutete, fragte mich schließlich eine unwirsche Stimme mit französischem Akzent, was ich wollte.
    «Ich möchte Jo sprechen.»
    «Jo ist nicht hier», antwortete die Stimme schon um eine Spur freundlicher.
    «Wann kommt er wieder?»
    «In Barcelona ist er wieder dabei.»
    «Wo ist er denn?»
    «Zu Hause. In Finnland.»
    Als ich erklärte, daß ich Fanartikelhändler war und auf der Suche nach einem gemeinsamen Freund, surrte plötzlich der Türöffner.
    Ein sehr freundlich aussehender weißhaariger Mann im hellblauen elf-Hemd gab mir die Hand und entschuldigte sich, daß er mir nicht gleich geöffnet hatte.
    «Ist Ihr Freund der finnische Fanartikelhändler?» fragte er.
    «Ja», sagte ich, «er heißt Johan Käkinen.»
    «Hieß», sagte der weißhaarige Franzose.
    Er erzählte mir, daß sein Kollege Jo zu einem Begräbnis nach Finnland gefahren war und noch ein paar Tage dort bleiben wollte, bevor er in Barcelona zum Formel-1-Zirkus zurückkehrte.
    Der Finne war nach dem Grand Prix von San Marino nur wenige Kilometer von Imola entfernt bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
     

4
     
    Auf Gilles Villeneuves Helm stand: Gilles Villeneuve.
    Auf Ronnie Petersons Helm stand: Ronnie Peterson. Auf Didier Pironis Helm stand: Didier Pironi.
Barcelona, Montreal, Magny Cours
    Nach dem Gespräch mit dem ef-Techniker packte ich meine Sachen und fuhr heim. Ich hatte keine Lust, der nächste Mitwisser zu sein, den TEXUNO um die Ecke brachte. Nicht einmal von Bruno verabschiedete ich mich.
    Ich war zwar jedes Jahr im Herbst heimgefahren, um in den drei oder vier rennlosen Monaten zu überwintern, aber nie hatte ich mich dabei so elend gefühlt wie dieses Mal. Ich wollte nicht glauben, daß es meine endgültige Heimfahrt war, nachdem ich siebzehn Jahre lang durch Europa gekreist war. Ich war 1977 mit ein paar T-Shirts zum Grand Prix von Spanien gefahren. Und jetzt fuhr ich wieder heim. Dazwischen war ein Rennwochenende, das siebzehn Jahre gedauert hatte.
    Ohne den Schock durch den Tod des Finnen hätte ich es wahrscheinlich nie geschafft, mich von diesem Leben loszureißen. Ohne die Panik, mit der ich aus Angst um mein Leben aufbrach.
    Ich raste die prächtige Küstenstraße an der Cöte d'Azur entlang. So schnell es mit dem alten Bus eben ging. Ich beobachtete den Verkehr in meinem Rückspiegel, aber natürlich folgte mir niemand. Überhaupt waren wenige Autos in meine Richtung unterwegs. Alle strömten ja zum Rennen nach Monaco, nur ich entfernte mich davon.
    Erst als ich schon in Italien war, beruhigte ich mich so weit, daß ich langsam begriff, was geschehen war. Der Finne war tot. Die TEXUNO hatte nach Liberante und Steve auch ihn aus dem Weg geräumt. Der Tod war zwar in Imola nach zwölf Jahren zu den Fahrern zurückgekehrt, aber es blieb ihm immer noch genug Zeit für die Fanartikelhändler. In Italien kam mir erst richtig zu Bewußtsein, daß ich Bruno hätte warnen müssen. Ich nahm mir vor, ihn anzurufen, obwohl ich gar nicht wußte, wo ich ihn erreichen konnte.
    Ich tankte kurz vor Mailand, fuhr dann ohne Halt weiter bis zur österreichischen Grenze. Als es dunkel wurde, war ich in Innsbruck. Dort aß ich etwas und schlief eine Stunde. Als es hell wurde, war ich in Wien.
    Ich besaß noch immer die Substandardwohnung, die wir als Studenten zu dritt bewohnt hatten. Die aber erst so richtig schäbig wirkte, seit ich hier allein hauste. Jahrelang hatte ich hier glücklich mit Theresa gewohnt. Wir waren Studenten, und unser Mitbewohner Stiedl war unser Kollege und mein bester Freund. Ich bemerkte erst, daß er auch ihr bester Freund war, als

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