Ausgebremst
Mördern?» sagte ich.
«Schön langsam beginnt es bei dir zu ticken», sagte der Finne zu Bruno. «Die weltweite Propaganda behauptet ja immer, daß die Drogen das Hirn zerstören. Dann soll mir bitte jemand erklären, warum die drogenlosen Hirne immer so langsam ticken!»
«Und hast du einen Verdacht, wer dahintersteckt?» fragte Bruno.
«Das hab ich euch doch gerade erklärt!»
Bruno schaute mich an, und ich schaute Bruno an. Dann schauten wir beide den Finnen an, der zwischen uns hindurchschaute.
«Noch mal von vorn», sagte der Finne. «Was haben Liberante, Steve und ich gemeinsam?»
«Eure Wohnmobile sind um fünfhundert Prozent teurer als unsere», schätzte Bruno.
«Was habt also ihr gemeinsam?»
«Unsere Wohnmobile sind um fünfhundert Prozent billiger als eure», sagte ich.
«Wo hast du rechnen gelernt?» fragte der Finne.
«Prozente von unten oder von oben sind anders zu rechnen», erklärte mir Bruno. «Wenn du bei einem T-Shirt, das du für zehn Dollar kaufst, fünf Dollar aufschlägst, hast du fünfzig Prozent aufgeschlagen. Wenn du dann aber das FünfzehnDollar-T-Shirt um fünfzig Prozent reduzierst, kostet es nur noch siebeneinhalb Dollar.»
Ich traute meinen Ohren nicht. «Glaubt ihr, ihr müßt mir das nach siebzehn Händlerjahren erklären?»
«Sieht fast so aus», brummte der Finne.
«Erzähl uns endlich, worum es geht!» wurde ich langsam ungeduldig.
«Man muß präzise denken, wenn man nicht der nächste sein will, dem das Feuer gelegt oder das Licht gelöscht wird», sagte der Finne. «Aber du hast recht, es geht nicht um die Prozente. Es geht darum, daß ihr euch kaum noch die billigen Rostlauben leisten könnt, mit denen ihr durch Europa gondelt. Weil das T-Shirt-Geschäft nichts mehr einbringt.»
«Wegen der Platzgebühren», sagte ich.
«Ach was!» sagte der Finne unwirsch. «Auf die Platzgebühren haben wir uns viel zu lange hinausgeredet. Dadurch haben wir die wahren Probleme nie erkannt.»
«Was sind die wahren Probleme?» fragte ich.
«Das wahre Problem ist, daß niemand auf der Welt so aggressiv in den lausigen Fanartikelmarkt eindringen würde wie TEXUNO, wenn er nur beabsichtigt, Fanartikel zu verkaufen.»
«Was meinst du damit?»
«Ich meine, daß sich Steve an dem Tag, bevor sein neues Wohnmobil in die Luft flog, die Feuerlöscher der TEXUNO angeschaut hat», nuschelte der Finne. «Wir wollten ja an dem Abend vor Steves Tod die ganze Zeit auf die Feuerlöscher zu sprechen kommen!»
«Aber ihr habt es nicht getan, weil der TEXUNO-Chef nicht aufgetaucht ist?» fragte ich.
«Im Gegenteil. Die beiden Verkäufer waren uns viel wichtiger», nuschelte der Finne. Und dann sagte er auf einmal etwas, ganz ohne zu nuscheln. Dadurch klang es so messerscharf, wie es bei einem, der nie nuschelt, unmöglich klingen kann: «Wir sind nicht dazu gekommen, weil du dich die ganze Zeit mit Steve wegen dieser blöden Niki-Lauda-Geschichte angelegt hast! Und Steve war blöd genug, mit dir darüber zu streiten! Sonst hätten wir vielleicht von den beiden
TEXUNO-Verkäufern etwas gehört, das uns rechtzeitig gewarnt hätte.»
«Du willst doch nicht sagen, daß Steve noch am Leben wäre, wenn ich mich nicht verteidigt hätte?»
«Das hast du gesagt», nuschelte der Finne.
1994
Zwei Wochen später, beim sonst so glamourösen Grand Prix von Monte Carlo, war die Formel-1-Welt noch weit davon entfernt, wieder normal zu funktionieren. Der Schock saß immer noch allen in den Knochen.
Die Fahrer konnten den Schreck nicht verbergen, den ihnen der Tod des unverwundbaren Ayrton Senna eingejagt hatte. Und kaum daß sie in ihre Autos gestiegen waren, krachte es im Training schon wieder. Der Österreicher Karl Wendlinger schlug bei einem harmlos wirkenden Ausrutscher mit dem Helm gegen die Leitschiene und versank in ein wochenlanges Koma.
Sicherheitskommissionen wurden gebildet, die auf allen Kursen die gefährlichsten Stellen noch einmal unter die Lupe nahmen. Einige ältere Fahrer wie Gerhard Berger dachten sogar in aller Öffentlichkeit über ihren Rücktritt nach.
Früher oder später aber fanden alle wieder zur Normalität des Geschehens zurück, und niemand trat zurück. Und bald forderten dieselben Sportkommentatoren, die die Gefährlichkeit des Rennsports angeprangert hatten, wieder spannendere Rad-an-Rad-Kämpfe.
Der einzige, der zurücktrat, war ich. Nicht aus Kummer um Ayrton Senna oder Roland Ratzenberger oder den im Koma liegenden Karl Wendlinger. Und nicht, weil ich plötzlich
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