Ausgebremst
Abend, bis ich Reichenhall wieder verließ, nicht blicken.
Der Schönheitschirurg hatte sich in den siebzehn Jahren nicht sehr verändert. Er war immer noch so blond wie damals, so daß ich nicht richtig erkennen konnte, ob er graue Haare bekommen hatte. Im Kontrast zu seinem braungebrannten Gesicht wirkte das helle Blond allerdings etwas unnatürlich. Wenn ich es mir heute überlege, so neige ich dazu, zu glauben, daß er bei der Haarfarbe etwas nachgeholfen hat. Vielleicht hat er sogar bei der unveränderten Dichte seines resolut gescheitelten Haares ein bißchen in die eigene Trickkiste gegriffen.
Theresa konnte jedenfalls zufrieden sein, denn er hatte nicht einmal zugenommen, wirkte beinahe unverändert. Einzig und allein eine Lesebrille war hinzugekommen, und sie war so winzig klein, als würde er sie nur als Schmuckstück vor seiner Brust baumeln lassen.
«Schön, daß wir uns wieder einmal sehen!» lächelte er sein strahlendes Schönheitschirurgenlächeln, als wäre nie etwas geschehen.
«Ja», sagte ich und gab ihm die Hand.
«Theresa kann heute leider nicht hiersein», erklärte er mit professionellem Bedauern in der Stimme. «Aber wie ich verstanden habe, hast du ja ein Anliegen, das in mein Fachgebiet fällt.»
«Ja», sagte ich.
Dafür, daß wir uns siebzehn Jahre lang nicht gesehen hatten, war ich wohl ziemlich einsilbig. Komischerweise wunderte ich mich darüber, daß er mich duzte. Dabei wäre es ein ziemlicher Affront gewesen, hätte er mich nicht geduzt. Das prächtige Ambiente hatte mich offenbar derart eingeschüchtert, daß mir das Du eines alten Freundes beinahe unangemessen erschien.
Er führte mehrere kurze Telefonate, in denen er seinen verschiedenen Gesprächspartnern beinahe wortgleich erklärte, daß er heute ab sofort nicht mehr zur Verfügung stehe. «Ich habe Besuch von einem alten Freund... Muß ich leider verschieben... Ja! Ja! Ja!» (Ich hörte ihn unzählige solcher «Jas» sagen, und jedes einzelne hatte ein ärztliches Rufzeichen.) «Ja! Mir tut es auch furchtbar leid. Wäre so nett gewesen... Ja! Ja! Aber Besuch von einem alten Freund.»
Er telefonierte mit so lauter Stimme, wie man es normalerweise nur bei alten oder sehr ungebildeten Menschen beobachten kann. Auch mit mir hatte er vom ersten Augenblick an so laut gesprochen. Aber es lag nicht an seiner
Beschränktheit, sondern einfach an seinem Beruf, der es ihm zur Gewohnheit gemacht hatte, mit allen Patienten und Untergebenen in diesem Tonfall zu sprechen.
«Schön habt ihr es hier», sagte ich, als ich mit ihm in den ersten Stock in sein Privatbüro hinaufging. Da mir das Du immer noch schwer über die Lippen kam, sprach ich ihn lieber gemeinsam mit Theresa im Plural an.
«Wir können nicht klagen», sagte er. «Obwohl, ich hab irgendwo gelesen, daß das für einen Österreicher das Schlimmste ist, was er sagen kann.» Vor Lachen brach er fast in mehrere Teile.
Das Büro glich einer mit größtem Bedacht eingerichteten Wohnung. Bei dem scheinbar absichtslosen Gemisch von Antiquitäten und modernsten Designerstücken spürte man die Hand Theresas, die sich immer schon eine Menge auf ihren guten Geschmack eingebildet hatte.
«Eine Lifthütte eben», meinte der Schönheitschirurg salopp.
Der sonderbare, gemeine Trotz, der in dieser Bezeichnung lag, erinnerte mich an die Verachtung, mit der er schon von allem geredet hatte, das ihm etwas bedeutete, als er noch mein Studienkollege war. Nur für Theresas Wahn, die Wohnung dauernd noch schöner zu gestalten, hatte er immer die lobendsten Worte übrig gehabt. Einmal hatte er sogar bei einem Streit, in dem Theresa mich aufforderte, endlich mein Ronnie-Peterson-Plakat aus dem Wohnzimmer zu entfernen, Theresas Partei ergriffen. Sie machte dabei andauernd das singende Geräusch der Motoren nach. Ich habe viel zu spät kapiert, daß er sich bei ihr einschleimen wollte. Es war das Jahr, in dem Ronnie Peterson bei Lotus dem Weltmeister Emerson Fittipaldi nur so um die Ohren fuhr.
«Deine Lifthütte», lächelte ich. Mit dem einen blöden Wort war er mir wieder so vertraut geworden, daß es mir nichts mehr ausmachte, ihn zu duzen.
Er erkundigte sich höflich, wie sich mein Leben entwickelt hätte, gab mir aber gleich zu verstehen, daß er das Wichtigste schon von Theresa wußte und ihn darüber hinaus nichts interessierte.
Er bot mir etwas zu trinken an und fragte mich, was ich gern hören wollte. Auch das hatte sich an ihm nicht geändert. Nicht das Trinken (weder er noch
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