Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
mit Tobias zu sprechen.
»Ich habe dich entschuldigt. Mike wünscht dir gute Besserung.« Ich wünsche ihm die Pest an den Hals. Als Tobi schläft, lösche ich Mike aus meinem Adressbuch und sperre ihn für eingehende Mails. Chatten kann er nun auch nicht mehr mit mir.
Clara geht bereits die zweite Woche wieder in den Kindergarten und ich schmücke das Haus zur Adventszeit. Das Thema Hund kommt täglich zum Frühstück und zum Abendessen auf den Tisch. Wir sind uns einig darüber, ihr nicht nachzugeben und einigen uns auf ein Zwergkaninchen. Tobias baut einen Außenstall für den Rammler. Die Garage dient ihm als Werkstatt. Meine Melancholie will der Vorfreude auf das Weihnachtsfest nicht weichen. Frederik schlägt vor, sich mit der ganzen Familie ein Ferienhaus im Schnee zu mieten und das Fest gemeinsam zu verbringen. Ich lehne ab, denn ich habe die Nase voll von Reisen. Wenn möglich will ich das Haus überhaupt nicht mehr verlassen.
»Wollen wir die Familie zu uns einladen?« Aber auch diese Idee findet nicht meine Zustimmung. Tobias hat meine depressive Verfassung sehr wohl bemerkt.
»Was ist mit dir los? Du hattest doch sonst immer so viel Freude an Familienfesten. Was macht dich immer so traurig?« Ich kenne den Grund. Immer wieder frage ich mich, warum ich mit auf sein Zimmer gegangen bin. Ich kann unmöglich mit Tobi darüber sprechen. Häufig liege ich nachts von Schuldgefühlen geplagt wach und betrachte sein Gesicht. Den fehlenden Schlaf hole ich am Nachmittag nach. Sarah meldet sich telefonisch. Sie bemerkt meine niedergedrückte Stimmung sofort. Weil ich allein im Haus bin, kann ich frei mit meiner Vertrauten sprechen. Ich beichte von meinem Erlebnis in Nürnberg und breche laut in Tränen aus. Sarah empfiehlt, auf jeden Fall dicht zu halten. Auch sie meint, dass Tobi es nicht verstehen und nicht verzeihen wird.
»Es ging alles so schnell. Glaub mir bitte, das habe ich nie gewollt!«
»Ganz schuldlos bist du nicht! Was war das mit euch. Das hat doch schon viel früher begonnen. Warum hast du ihn so dicht an dich herangelassen. Seine blöden Bücher können es ja wohl nicht gewesen sein.«
»Es war nur Mitgefühl! Als er seine Frau verlor, tat er mir so leid.«
»Dann schickt man eine Beileidskarte und chattet nicht Tag für Tag mit einem Fremden. Du wirst ihm schon Signale gesendet haben!«
»Ich habe ihm immer gesagt, wie sehr ich Tobi liebe. Dass er der Mann meines Lebens ist. Genauso hat er doch für Kathie empfunden. Über nichts anderes haben wir gesprochen. Ich verstehe das einfach nicht!«
»Ich auch nicht. Ehrlich Marie, ich weiß, wie sehr du an deinem Mann hängst. Ich habe es nicht für möglich gehalten, aber als ich euch zusammen erlebt habe, dachte ich noch, sie hat sich damals richtig entschieden. Mach es nicht kaputt und höre endlich auf zu flennen. Tobias ist ein sensibler Mensch. Kurz über lang merkt er etwas.« Damit das nicht passiert, beende ich das Gespräch und wasche mir das verheulte Gesicht. Ich schminke mich ein wenig und gehe in die Küche, um einen Schokokuchen zu backen. Tobias wird mit einem Lächeln begrüßt.
»Ich backe uns einen Kuchen. Ganz so lecker wie dein Teig schmeckt er nicht. Aber er ist mit Liebe gemacht.« Ich streiche mit dem Finger in die Schüssel und führe meinen dunkelbraun glänzenden Zeigefinger zu seinem Mund, male einen dicken Strich über seine Lippen und schlecke den Teig genüsslich ab.
»Mehr Teig! Weniger gebackenen Kuchen.«
Nach der Bescherung sind wir völlig abgemeldet. Clara freut sich so sehr über ihr Schlappohr Zwergkaninchen, dass sie die anderen Geschenke gar nicht mehr beachtet. Sie ist der festen Überzeugung, dass sie dem Tier das Bellen beibringen kann. Dann wäre es fast so, als hätte sie einen Hund bekommen. Der neue Hausbewohner wird auf den Namen Titus getauft. Er wohnt im Käfig im Kinderzimmer neben dem Kinderbett. Als er in den selbstgebauten Außenstall umziehen soll, empört sich seine neue Besitzerin und schreit laut vor Wut.
»Dann hätte ich mir die Arbeit auch sparen können«, sagt Tobi.
»Die Euphorie wird sich legen.« Ich spreche aus Erfahrung. Titus ist nicht das erste Kaninchen, das ich im Laufe meiner Jahre irgendwann allein versorgen darf.
Tobias wünscht sich, den Silvesterabend wieder bei René im Restaurant zu feiern. Clara soll die Nacht bei ihrem Kindergartenfreund Louis verbringen. Aber Töchterchen macht uns einen
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