Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
bekomme ich von Sarah Besuch. Sie macht sich große Sorgen, dass ich mich ungezügelt dem Alkohol hingebe. Ihre Sorge ist unberechtigt. Ich trinke nur Wasser und schwarzen Kaffee. Aber ich habe das Essen wieder eingestellt und bestrafe mich mit Hunger und Schlafentzug.
»Du siehst aus wie ein Gespenst! So ungepflegt habe ich dich noch nie gesehen. Zieh dir gefälligst ein paar frische Sachen an und dann fährst du mit mir in den Ort. Du musst dringend zum Friseur.«
»Für diesen Luxus fehlt mir das Geld. Ich muss meine letzten Scheine gut zusammenhalten. Ich habe keine Einkünfte mehr. Und wenn Tobi jetzt im Sommer die Flatter macht, kommt auch nichts mehr rein.«
»Du willst mir erzählen, dass du pleite bist? Du hast ein großes Haus mit Meerblick. Dir gehört eine Kosmetikfirma mit internationalen Absatzmärkten!«
»Die Firma gehört Frederik. Damit habe ich schon lange nichts mehr zu tun.« Sarah kann nicht glauben, was sie hört.
»Du hast für Frederik bei Clausen die Kohlen aus dem Feuer geholt. Ohne dich, hätte er den Vertrag mit deinem Sohn nie verlängert. Du hast sogar dafür gesorgt, dass das Geschäft in den USA zustande kommt. Und dafür bekommst du nur ein Dankeschön? Weiß er überhaupt von deiner desolaten Finanzsituation?«
»Ich werde wohl meinen Wagen verkaufen. Ich habe immer noch die defekte Ente, die Steffen mir zum Geburtstag geschenkt hat. Vielleicht lasse ich sie reparieren. Zwei Autos brauche ich definitiv nicht. Mit dem Geld komme ich über den Sommer. Danach werden wir sehen.«
Sarah drängelt so lange, bis ich zustimme, mir die Haare schneiden zu lassen. Das kleine Eckgeschäft in der Mitte der Hauptstraße grenzt an Renés Restaurant. Ein Teil der Glasfront ist mit Zeitungen verklebt und ich frage mich, ob der Friseursalon überhaupt geöffnet hat. Die Besitzerin Claire freut sich über Kundschaft. Sie klagt über die schwache Vorsaison und beschwert sich lautstark über die verdeckte Frontansicht. Sie musste aus Kostengründen einen Teil der Geschäftsräume wieder aufgeben und hat ihren Salon verkleinert.
»René spinnt. Seine Mietvorstellungen sind eine Unverschämtheit.« Ich hoffe, dass Claire ihre Wut nicht an meinen Haaren auslässt. Aber meine Angst ist unbegründet. Die Friseurin verwandelt mich wieder in eine ansehnliche Person. Sarah wartet bei einem Fruchtcocktail auf Renés Terrasse. Sie nickt anerkennend, als ich zu ihr an den Tisch komme.
»Hallo, meine Schöne«, begrüßt mich der Wirt. Er setzt sich kurz zu uns. Sein Blick verrät, dass sich Tobias Flucht bereits herumgesprochen hat. Er küsst mich herzlich auf die Wangen.
»Du weißt ja Marie, ich bin ein Mann für alle Fälle. Wenn du einsam bist, bin ich für dich da. Aber warte nicht zu lange. Tobias ist bestimmt schon wieder auf dem Rückweg!«
»Du kannst tatsächlich etwas für mich tun. Vermiete mir dein leer stehendes Ladenlokal für den Sommer. Während du mir einen Gin Tonic mixt, kannst du dir ja mal einen Freundschaftspreis überlegen.« Sarah staunt. »Ich bin es leid, untätig herum zu sitzen und auf die Rückkehr meines gekränkten Mannes zu warten. Die letzten Tage haben mir klar gemacht, dass mich keine Schuld an Mikes Übergriff trifft. Wenn Tobi geblieben wäre und mir zugehört hätte, wüsste er es auch. Das ist überhaupt das eigentliche Problem. Er hört mir nie zu. Wenn er mir zuhört, versteht er mich falsch. Er hat auch stets Heimlichkeiten. Was war denn das mit Natascha im letzten Sommer. Auch hat er mich jahrelang über seinen Vater belogen. Von Clara ganz zu schweigen. Ich habe ihm immer verziehen. Seinen Kokskonsum. Seine Eifersucht.« Ich rede mich in Rage.
»So gefällst du mir wieder. Das ist die Marie, die ich kenne.«
»Was ist nun, René. Wie hoch ist die Miete?«
»Was hast du vor? Davon hängt der Mietpreis ab.«
»Ich werde ein kleines SPA einrichten. Kosmetik verkaufen und Massagen und Körperbehandlungen anbieten. Statt dir Miete zu zahlen, werde ich dich am Umsatz beteiligen. Meine Kunden erhalten keine Bewirtung bei mir. Sie werden alle zu dir geschickt. Und du hast täglich eine Rückenmassage frei. Bis Saisonende werde ich es ausprobieren. Läuft es nicht, kriegst du deinen Laden frisch renoviert von mir zurück. Na, was sagst du?« René steht wortlos auf und geht an die Bar. Nach einigen Minuten kommt er mit drei Drinks auf dem Tablett zurück. Er setzt sein Pokerface auf und sagt:
Weitere Kostenlose Bücher