Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
mehr unter Zeitdruck. Meine Stammkundinnen kommen ohnehin meist vormittags zur Behandlung. Natascha könnte den Verkauf übernehmen und Termine vereinbaren. Jean soll schwerpunktmäßig in der zweiten Schicht eingesetzt werden. Im Notfall stehe ich ja noch zur Verfügung. Genauso besprechen wir es und genau so wird es gemacht.
Wir sind die Ersten, die sich am Residententisch zu Margot und ihrem Mann setzen. Ob die Untersuchung beim Urologen erfolgreich war, will ich wissen. Ich flüstere Margot ganz leise zu. Sie allerdings antwortet laut. »Für Männer in seinem Alter bleibt nur die Notschlachtung.« Tobias sieht erschrocken auf. Er wundert sich über ihre direkte Art. Schließlich sitzt ihr Mann mit Prostataproblemen direkt neben ihr.
»Carpe diem!« ruft Margot Tobias zu und fordert ihn auf, seine Zeit zu nutzen, bevor er in der gleichen Situation wie Eric ist. René spielt Musik vom Band. Die Frage, ob es an diesem Abend keine Live Musik gibt, überhört er.
»Unser Benjamin wird hier ab Juli auftreten«, sagt Eric voller Vaterstolz. Margot sieht es anders. Sie findet darin keinen Grund, stolz zu sein.
»Benjamin ist ein bekannter und hervorragender Studio und Band Musiker. Er war schon mit den Größten der Welt unterwegs. Keiner spielt das Saxophon wie er. Er hat dieses unwürdige Engagement nur angenommen, um uns einen Gefallen zu tun. Wir sehen uns ja sonst so selten«, sagt Margot. Ich bin platt und erzähle von seinem Probeauftritt und dem großen Blumenstrauß, den ich von ihm zum Dank für meine Unterstützung erhalten habe.
»Das ist mein Sohn. Benehmen hat er. Das hab ich ihm beigebracht. Sein musikalisches Talent hat er von seinem Vater geerbt.« Eric küsst seine Margot. Vergessen sind ihre Anspielungen und bösen Bemerkungen. Tobias lauscht dem Gespräch aufmerksam. Ich habe ihm bisher nichts von Benjamin, dem Saxophon und dem Blumenstrauß erzählt.
»Wie alt ist euer Sohn?«, fragt er direkt dazwischen.
»So in deinem Alter, aber noch nicht so grau wie du, wenn ich das sagen darf.« Ich lache laut los. Natürlich darf Margot das nicht sagen. Sie trifft den wunden Punkt meines Liebsten. Aber was kann man dieser Frau übel nehmen?
»Och guck, die Lesben kommen«, sagt sie und winkt Claire und Sarah zu. Ich will zusammenbrechen. Margot hat wieder ihre Dose Charme geöffnet und ist in Höchstform. Das kann nur ein lustiger Abend werden. Zu später Stunde erzählt sie zum wiederholten Male, dass sie auch eine Freundin hatte, die lesbisch war. Als die jedoch das erste Mal mit einem Afrikaner schlief, bekam sie von Männern nie mehr genug. Das ist zu viel für Tobis Geschmack. Ihn ärgern die rassistischen Bemerkungen seiner Tischnachbarin und er bittet darum, die Musik lauter zu stellen. Das Lokal füllt sich langsam und Tobi zieht mich zum Tanzen in eine freie Ecke. Als Eric seine Margot heimführt, kommen wir zurück an den Tisch.
»Diese Frau ist unmöglich«, schimpft Tobias. Sarah sieht das entspannter. Sie war aus München andere Anfeindungen gewohnt. Ganz gegenteilig ist ihre Meinung. So frei wie in Südfrankreich, kann sie nirgendwo ihre gleichgeschlechtliche Liebe ausleben. Das ist auch der Grund für ihre Überraschung. Sie offenbart, dass sie ihr Haus in München aufgegeben hat und nun mit Claire ein Appartement beziehen will.
»Gleich um die Ecke. Nicht mondän, aber immerhin mit einem kleinen Balkon und Teilmeerblick.« Ich freue mich. Meine beste Freundin im Ort zu wissen, ist die Sensation des Tages. Natascha ruft an und bittet um Ablösung. Es ist spät geworden. In so gelöster Gesellschaft vergeht die Zeit wie im Flug. Tobi macht noch eine Runde mit dem Hund. Als er zurück kommt, schlafe ich schon fest.
Natascha zeigt sich als enorme Unterstützung. Endlich komme ich wieder dazu, durchzuatmen. Ohne den lästigen Zeitdruck verbringe ich die Nachmittage in aller Ruhe zusammen mit Clara, während Tobi sich in der Bootshalle aufhält. Er fährt seit zwei Wochen mit Jean jeden Morgen seine Strecke mit dem Rad, die sich täglich um drei bis fünf Kilometer verlängert. Die beiden Männer sind vom Ehrgeiz gepackt und spornen sich gegenseitig an. Es ist Ende Mai und ich nehme wieder meine täglichen Schwimmübungen auf, als am Nachmittag das Telefon klingelt. Clara ruft mich. Ich soll rein kommen. Natascha will dringend mit mir sprechen. Unwillig steige ich aus dem Pool und gehe ins Haus.
»Versprich mir, dass du dich nicht
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