Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
aufregst. Bitte! Tobi und Jean waren heute auch nachmittags mit dem Rad unterwegs. Du solltest es nicht wissen. Aber jetzt hat das Krankenhaus angerufen. Sie hatten einen Unfall. Wie schwer sie verletzt sind, weiß ich nicht. Auf jeden Fall werden sie stationär behandelt. Marie du musst hinfahren. Gleich!« Die Nachricht versetzt mir einen Stoß ins Herz. Aber ich bleibe ganz ruhig. Wie ferngesteuert bitte ich Clara, sich auch etwas anzuziehen. Während der Fahrt spreche ich kein Wort. Ich bringe sie zu Natascha und trage ihr auf, kein Sterbens Wort zu der Kleinen zu sagen, bevor ich zurück bin.
»Mein Name ist Marie Martin. Ich habe eine Nachricht erhalten, dass mein Mann Tobias hier nach einem Unfall eingeliefert wurde«, sage ich mit ruhiger Stimme, obwohl meine Hände zittern und meine Beine flau sind. Die freundliche Krankenschwester der Aufnahme befragt ihren Computer und schickt mich zur Station A im Hauptgebäude. Dort wiederhole ich zum dritten Mal mein Anliegen bis Frau Dr. Fabrice endlich zu mir kommt und mich aufklärt.
»Ja, der Fahrradunfall. Frau Martin, ihr Mann und sein Begleiter sind mit schweren Bruchverletzungen hier eingeliefert worden. Laut Aussage Ihres Mannes wurden sie von einem überholenden PKW touchiert und sind unglücklich gestürzt. Ihr Mann fiel mit der rechten Schulter auf die Bordsteinkante des Bürgersteiges. Dabei erlitt er eine komplizierte Schultergelenkfraktur mit Sprengung der Gelenkkapsel und Fraktur des Rabenschnabelfortsatzes am rechten Schulterblatt sowie einen Abriss des Oberarmmuskels. Wir haben ihn bereits operiert. Die Nachbehandlung sollte mit Schmerzmitteln, Reha-Maßnahmen und später mit konsequenter Krankengymnastik erfolgen. Dennoch können wir die Versteifung seines Schultergelenkes nicht ausschließen.«
»Und Jean? Was ist mit ihm?«
»Ihn hat es schlimmer erwischt. Er hat schwere Wirbelverletzungen davon getragen. Wir haben ihn ins künstliche Koma versetzt. Bitte nicht böse sein, aber mehr darf ich Ihnen zu seinem Zustand nicht sagen. Hat er Verwandte, die Sie informieren können?« Ich verspreche, mich zu kümmern. Ich will zu Tobi. Er liegt auf Zimmer 326 und schläft. Ich breche sofort in Tränen aus, als ich ihn so hilflos und zerschunden liegen sehe. Mein Herzschlag und meine Atmung beruhigen sich nur langsam. Ich gehe auf den Parkplatz, rauche eine Zigarette und rufe Natascha an. Sie soll sich zu Hause weiter um Clara kümmern. Carlos geht nicht ans Telefon. Ich hinterlasse ihm eine Nachricht, ohne vom Unfall zu berichten. Tobias wird nach einer Stunde langsam wach. Er versucht zu witzeln, aber mein Blick deutet an, dass etwas Schlimmes im Raum steht. Ich wähle genau die Worte, die ich von der Ärztin über den kritischen Zustand von Jean zu hören bekam. »Dieses verdammte Scheiß Rad!«, fluche ich.
Während Sarah den Verkauf im SPA übernimmt, kümmere ich mich zu Hause um Tobias. Massagen und Körperbehandlungen fallen im Mató Beauty & Spa bis auf weiteres aus. Jean darf noch keinen Besuch empfangen. Es ist unerträglich für uns, nicht zu erfahren, wie es um ihn steht. Tobi hat Schmerzen. Angesichts der Ungewissheit um seinen Sportfreund lässt er sich nichts anmerken. Endlich hat Carlos sich zurückgemeldet und ist auf dem Weg zu Jean. Weil Sarah für ihre Sendungen zwischendurch nach Berlin reisen muss, steht sie als Aushilfe nicht dauerhaft zur Verfügung. Es muss also ganz schnell eine Lösung her. Wer kann mich gewissenhaft im Geschäft vertreten? Ich kenne nur eine Person, auf die immer Verlass ist und rufe Steffen an. Nachdem ich ihm von den tragischen Ereignissen der letzten Tage berichte, bitte ich ihn um Hilfe. Lange brauche ich ihn nicht überreden. Schon zwei Tage später steht er vor meiner Tür. »Du bist ein Goldschatz«, begrüße ich ihn und bestehe darauf, dass er das Gästezimmer bezieht. Steffen und Tobias begrüßen sich förmlich. Der Hausherr ist nicht begeistert darüber, dass mein Exmann für die nächsten Wochen unser Dauergast sein wird. Aber solange er seine Schulter ruhig stellen muss, will er sich mit der Situation abfinden. Er kann mich bei nichts unterstützen und empfindet sich selbst als große Belastung. »Nimm Tobis Wagen. Hier sind seine Schlüssel. Er kann die nächsten Wochen kein Auto fahren. Deinen Leihwagen bringen wir später zurück. Das Geld können wir sparen.« Ich erkläre den neu geplanten Tagesablauf, der im Wechsel mit Natascha, Steffen und mir umgesetzt werden soll.
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