Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Unterhaltung zwischen dem Aufnahmeleiter und seinem Kameramann, die sie kurz nach der letzten Sendung belauschte. »Die beiden Weiber werden langsam aber sicher zu fett für den Schirm«, soll der Aufnahmeleiter gesagt haben. Der Kameramann hatte angefügt: »Und vor allem zu faltig und zu alt für das Thema Beauty.« Ich bin entsetzt. Das würden sich die blöden Kerle nie trauen, mir ins Gesicht zu sagen. Ich bin noch keine fünfzig und fühle mich in meinem neuen Leben, jung wie nie. Von den plötzlich auftretenden Hitzewallungen mal abgesehen. Sarah erzählt von einem Schönheitsschirogen, der bereits einige ihrer ehemaligen Kolleginnen aus dem öffentlich rechtlichen Fernsehen unter dem Messer hatte. »Mit mir nicht! Lieber gehe ich in Rente, als mir das Gesicht verschnippeln zu lassen«. In diesem Punkt sind wir uns einig. Altern in Würde! Darauf trinken wir ein Glas Sekt.
»Wo ist Tobi? Macht er einen Berlin Bummel?«
»Wie kommst du denn darauf? Ich bin allein hier.«
»Ich habe ihn doch vorhin vor dem Sender gesehen«, antwortet Sarah und merkt sofort, dass sie in ein Fettnäpfchen getreten ist. Ich nehme das Telefon und wähle seine Mobilnummer. Die Ansage in deutscher Sprache verwundert mich. Tobi kann nicht in Frankreich sein. Was hat das zu bedeuten? Ich lege auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. An der Hotelrezeption frage ich, ob er eingecheckt hätte. Aber der Empfangschef verneint.
Als ich am nächsten Nachmittag in Nizza lande, werde ich bereits von ihm erwartet.
»Wo warst du gestern Abend?«
»Ich hatte eine Besprechung in Freiburg. Es ging um einen neuen Auftrag. Ich bin die ganze Nacht durchgefahren und hab nur zwei Stunden geschlafen. Wenn wir angekommen sind, legen wir uns erst mal aufs Ohr, Schatz«, sagte er und sieht mich verliebt an.
»Sarah meint, sie hätte dich gestern im Sender gesehen.«
»Da war die Blindschleiche bestimmt wieder ohne Brille unterwegs und hat mich verwechselt. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich in Berlin bin, ohne dich zu treffen«, lacht er und küsst mich so innig, als wenn wir uns Monate lang nicht gesehen hätten. Zu Hause angekommen erzähle ich von den ungeheuerlichen Bemerkungen meiner Kollegen aus der Technik. Ich gehe unter die Dusche und es dauerte keine zwei Minuten, bis mich Tobi vom Gegenteil überzeugt.
»Erholt sehen sie aus, Frau Simon«, begrüßt mich die neue Bereichsleiterin Beauty. »Bis zur ersten Sendung haben wir noch eine gute Stunde Zeit. Bitte begleiten sie mich doch kurz in mein Büro. Ich möchte dringend etwas mit Ihnen besprechen.« Ich bin auf alles gefasst. Soll sie mir doch sagen, dass ich optisch nicht mehr den Anforderungen einer Beauty Repräsentantin entspreche. Na und? Dann höre ich auf. Ich kann die Häuser verkaufen und mit Tobi bis an mein Lebensende in eine kleine Mietwohnung ziehen. Ich brauche keinen Garten und keinen Meerblick, um mit ihm glücklich zu sein.
»Frau Simon, wir können mit den Erfolgen ihrer Anti Age Pflege wirklich zufrieden sein«, beginnt die neue Managerin. »Neueste Untersuchungen haben gezeigt, dass auch die Kundinnen im Alter von Mitte zwanzig bis Mitte dreißig drastisch zugelegt haben. Ich rede hier von Müttern in spe. Unsere amerikanischen Kollegen haben diese Zielgruppe längst für sich erkannt und ich möchte, dass auch wir auf diesem Gebiet durchstarten. Haben Sie eine Idee für eine spezielle Pflege für Schwangere?« Damit habe ich nicht gerechnet. Die letzten drei Jahre hatte ich kaum noch mit Neuentwicklungen zu tun. Der Vorschlag kommt für mich wie ein Wink des Himmels. »Großartig«, kommentiere ich die Idee. »Geben Sie mir zwei Wochen und ich zeige Ihnen die ersten Vorschläge.« Beflügelt von dieser neuen Herausforderung absolviere ich die erfolgreichste Verkaufssendung des Jahres.
»Das war heute Rekord«, ruft der Aufnahmeleiter mir nach dem Abspann zu.
»Kannst du mal sehen, was die alten, fetten Weiber noch so alles zustande bringen«, sage ich in sein hoch rot angelaufenes Gesicht. Ich storniere meinen Rückflug nach Nizza und rufe zuerst Tobias und danach meine Schwester Sophie an. »Kann ich die Zeit bei dir wohnen oder ist es dir lieber, wenn ich in ein Hotel ziehe?« Sophie freut sich auf ihre Untermieterin und verspricht, mir sofort ein Gästezimmer herzurichten. Ich miete mir einen Leihwagen und fahre in bester Laune Richtung Hamburg.
Nach langer Zeit der Abstinenz tüftele ich endlich
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