Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Infarkt.«
»Ich komme sofort.« Ich beschließe, sofort einen Flug zu buchen.
»Das musst du nicht. Du kannst sowieso nichts machen.« Er verspricht, mich auf dem Laufenden zu halten. Ich nehme mir vor, am Abend mit Hanna zu telefonieren. Für sie muss es ganz furchtbar sein. Immerhin sind die beiden seit fast sechzig Jahren wie siamesische Zwillinge miteinander verbunden. Ungeduldig schaue ich auf die Uhr. Tobias wollte schon längst zurück sein. Ich sehe von der Terrasse hinaus aufs Meer und erkenne, dass die Brandung zugenommen hat. Die großen Wellen, deren Kämme sich brechen und weiße Schaumflächen hinterlassen, versetzen mich in Sorge. Bei diesem Wellengang wird Badeverbot ausgesprochen, an das sich Tobias leichtsinniger Weise nie hält. Ich will zum Strand fahren und ziehe mir mein weißes Leinenhemd über und laufe geschwind die Treppe zu meinem Wagen herunter. Tobias Auto parkt an der Küstenstraße. Der Strand ist mäßig gefüllt. Bei diesem Wind harren meist nur englische Touristen aus, die ohne Schutz solange in der prallen Sonne grillen, bis sich erste Bläschen auf ihren krebsroten Körpern zeigen. Ich quetsche mein Auto quer in eine kleine Parklücke und gehe schnellen Schrittes zum Strand. Es sind keine Schwimmer und Surfer im Wasser zu entdecken. Zielgerichtet laufe ich auf die Strandbar zu, vor der zahlreiche Surfbretter aufgestellt sind. Tobi steht mit einer Gruppe junger Schweden am Tresen und unterhält sich angeregt auf Englisch. Als er mich bemerkt lächelt er und sagt: »Hallo mein Schatz, ich glaub ich hab mich verquatscht.« Er gibt mir einen langen Kuss und legt verliebt seinen Arm um meine Schultern. Die jungen Schwedinnen sehen sich irritiert an und werfen mir einen abfälligen Blick zu. Das habe ich in diesem Sommer schon öfter erfahren. Der Altersunterschied zu Tobi wird offensichtlicher. Ich habe längst keine Bikini Figur mehr und für Topless Baden kommt für mich nur noch der eigene Pool in Frage. Dem Vergleich zu den zwanzigjährigen Sportlerinnen am Strand, stelle ich mich nicht mehr.
»Du spinnst«, sagt Tobi dann stets zu mir. In seinen Augen bin ich schön, wie am ersten Tag unserer Begegnung.
»Karl liegt im Krankenhaus. Er hatte gestern seinen zweiten Infarkt«, berichte ich. Tobi bietet an, sofort mit dem Auto nach Hamburg zu reisen, aber ich blocke ab.
»Steffen sagt uns Bescheid, wenn es Veränderungen gibt.« Hand in Hand gehen wir zu unseren Wagen und fahren zurück zum Haus. Den Kurierfahrer haben wir verpasst. Am Briefkasten klebt ein Benachrichtigungsschein. Das langerwartete Paket wurde bei Belle abgegeben.
»Holst du mir nach dem Essen die Stoffe rüber? Ich möchte heute gleich mit dem Beziehen der Sessel und Stühle beginnen.« Der Mistral hat an Stärke zugelegt und wir nehmen das Mittagessen im Inneren des Hauses ein. Begeistert schaue ich immer wieder an die Decke. Tobias hat in mühseliger Arbeit, alle Balken abgeschliffen und sie weiß gekalkt. Nach monatelanger Anstrengung war es ihm gelungen, das einst dunkle Hausinnere, Zimmer für Zimmer in ein helles und freundliches Zuhause zu verwandeln. Mit den neuen Bezügen für die Sitzmöbel will ich heute das letzte Dunkelbraun aus unserem Traumhaus verbannen. Tobias trägt das schwere Paket ins Wohnzimmer, wo ich schon ungeduldig mit einem Messer in der Hand auf ihn warte. Aufgeregt öffne ich die Pappe und breite die verschiedenen Stoffbahnen auf dem Boden aus.
»Ist das gewollt?«, fragt er, weil er sich über die verschiedenen Muster wundert.
»Ja, Punkte, Karos, Streifen und Uni. So habe ich es mir gedacht. Aber was sind das für Farben?«
»Grün und Grau«, sagt er mit voller Überzeugung.
»Nein, das ist Azurblau und Sonnengelb! Du bist ja total farbenblind.« Ich amüsiere mich und gackere aus voller Brust. Es sind auf keinen Fall die Stoffe, die ich bestellt hatte. Aber sie gefallen mir. Bunt und verrückt. So wie mein neues Leben an seiner Seite. Am Abend liegen wir beide auf dem »blauen« Sofa und lesen in unseren Büchern.
»Ich muss immer an Hanna denken. Sie wird allein nicht klar kommen, wenn Karl es diesmal nicht überlebt.« Ich kann mich nicht auf die Geschichte einlassen und lege mein Buch beiseite. Das Telefongespräch mit meiner Schwiegermutter belastet mich sehr. Hanna hatte minutenlang geweint und ich mit ihr.
»Ich könnte auch nicht ohne dich leben«, sage ich betrübt und kraule Tobias Kopf.
»Wir
Weitere Kostenlose Bücher