Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
die Freude über dieses wunderbare Geschenk nicht. Zu gern würde ich meine Dankbarkeit auf andere Weise zeigen, aber das Telefon klingelt in einer Tour. Ich erhalte Glückwünsche zum Geburtstag von allen Familienangehörigen, Kollegen und Freunden bis in den späten Nachmittag. Robert schlägt vor, den Fahrer zu geben. Ein prima Angebot, das wir gern annehmen. Der Abend kann feucht fröhlich enden. Erst weit nach Mitternacht kommen wir von der Feier zurück. Wir wollen schnurstraks ins Bett fallen, werden aber durch das Aufleuchten der roten Lampe des Anrufbeantworters aufgehalten. Ich höre die Nachricht ab, auf die ich so gern verzichtet hätte. Karl verstarb um 22.30 Uhr. Er wurde 79 Jahre alt.
Ich nehme die zehn Uhr Maschine und Tobias fährt mit dem Wagen nach Hamburg hinterher. Steffen holt mich vom Flughafen ab und wir fahren direkt zu Hanna. Sie ist nicht allein. Nadja und die Therapeutin Petra kümmern sich bereits rührend um sie.
»Er hätte so gern seinen Achtzigsten gefeiert«, weint sie. Petra versucht zu trösten und erzählt von ihren Eltern, die qualvoll im Pflegeheim verstarben.
»Da hatte es Karl doch besser«, meint sie. Im Pflegeheim will Hanna auch nicht sterben. Petra zielt mit ihrem gutgemeinten Trost ins Zentrum einer Tretmiene.
»Auf keinen Fall werde ich ins Heim gehen. Vorher müsst ihr mich erschießen.«
»Das kommt auch überhaupt nicht Frage, dafür sind wir beide noch viel zu fit.« Die aufmunternden Worte kommen von Ellen. Sie ist gerade von der Algarve angereist, um Hanna zur Seite zu stehen. Viele gemeinsame Freunde haben die beiden Frauen nicht mehr. Ihr Verhältnis wurde daher in den letzten Jahren immer inniger.
»Wenn das hier vorbei ist, kommst du für eine Weile mit zu mir.«
»Prima Idee«, findet Steffen. Hilflos und verloren kommt mir mein Noch Ehemann vor. Obwohl seine neue Petra dabei ist, nehme ich ihn in den Arm und sage: »Der alte Knurrhahn wird mir fehlen.« In amerikanischen Filmen hatte ich schon oft gesehen, wie sich die Familien mit lustigen Geschichten an den Verstorbenen erinnern. Ich finde, das ist eine tolle Sitte und ich hätte es gern gesehen, dass dieser Brauch auch in meiner Familie Einzug hält. Ich habe hundert komische Erlebnisse mit Karl parat. Aber im Hause Simon wird traditionell bei Kaffee und Cognac schweigend getrauert.
»Ich möchte, dass Marie und Steffen mich zum Beerdigungsinstitut begleiten«, sagt Hanna und erteilt der neuen Petra damit eine dicke Abfuhr. Ich schlage vor, etwas zu essen. Hanna geht zusammen mit mir zur Gefriertruhe. Sie zieht zwei große Beutel Rindergulasch heraus. »Die hat Karl noch vor zwei Wochen gekocht«, sagt sie und fängt wieder an zu weinen. Petra und ich kümmern uns um die Mahlzeit.
»Warum ist Tobias nicht mit gekommen«, will Nadja wissen.
»Er kommt mit dem Wagen nach. Wir werden bis zur Einschulung von Lillie wohl in Hamburg bleiben.«
»Ihr könnt bei uns in der Heide wohnen«, schlägt Steffen vor. Ich will mir sein Angebot durch den Kopf gehen lassen. Die Trauergemeinde sitzt am Tisch und nimmt sich Nudeln oder Kartoffeln in die mit Fleisch und Soße vorgefüllten Teller.
»Das ist ja total versalzen«, meckert Steffen laut.
»Ja, das hat ja auch dein Vater gekocht. Der hat zum Schluss alles versalzen. Deshalb ist er wohl auch an einem Herzinfarkt gestorben. Eigentlich hatte er ja vor, mich mit seinem Essen ins Grab zu bringen. Nun ist er vor mir in die Grube gefahren«, lacht sie und alle setzen mit ein.
»Weißt du noch, als er zu Ostern für uns alle Chili con Carne gekocht hat? Dabei verwechselte er Paprika mit Chilipulver und das schöne Essen war total ungenießbar«, lacht Nadja.
»Na klar, weiß ich das noch«, sagt Hanna. »Er hatte allerdings steif und fest behauptet, es wäre nur leicht pikant und sich demonstrativ Nachschlag genommen. Sein lautes Heulen und Jammern auf der Toilette am nächsten Tag, hab ich jetzt noch in den Ohren!« Mein Telefon klingelt.
»Wo bist du«, fragt Tobias ungläubig.
»Bei Hanna zu Hause.« Ich kann mein Lachen kaum unterdrücken.
»Das ist ja mal eine fröhliche Trauerfeier.« Er überquert gerade die Französisch Deutsche Grenze und verspricht in spätestens sieben Stunden anzukommen.
»Steffen hat uns angeboten, in der Heide zu wohnen. Oder wollen wir uns lieber ein Hotel nehmen?«
»Hotel ist doch Quatsch«, sagt Tobi und verabschiedet sich
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