Ausgefressen
ganz kurz aus der Ruhe bringen.
»Sind das deine Eltern?«, frage ich, als ich vor dem Kühlschrank stehe.
Phil zieht erstaunt die Stirn kraus. »Wie kommst du darauf?«
Ich könnte ihm erklären, dass Erdmännchen aufgrund ihrer Lebensweise einen guten Blick für familiäre Zusammenhänge haben, sage aber: »Du hast die Augenfarbe deiner Mutter geerbt.«
Phil scheint zu überlegen, dann nickt er, zuckt mit den Schultern und kippt einen weiteren Drink. »Stimmt. Das sind meine Eltern.«
»Da waren Sie noch sehr jung, oder?«
Wieder überlegt Phil einen Moment. Vermutlich denkt er, dass mich das alles nichts angeht. Stimmt ja auch. Andererseits kennt er meine ganze peinliche Sippe. Da ist es nur fair, wenn auch ich ein bisschen über ihn erfahre, finde ich. Außerdem sind wir doch inzwischen Partner.
Ich warte. Er gießt sich erneut ein, dann gibt er sich einen Ruck. »Das Foto ist vor über dreißig Jahren entstanden …«
»Wie lange sind dreißig Jahre?«, will ich wissen.
»Verdammt lang«, erwidert Phil.
Ich nicke, als könnte ich mit dieser Antwort tatsächlich etwas anfangen.
»Das Foto wurde in Südamerika gemacht. Meine Eltern waren Wissenschaftler. Wenn sie Forschungsreisen machten, dann ließen sie mich bei meiner Großmutter. Manchmal für ein paar Tage, manchmal für Wochen. Das Foto haben sie mir von ihrer letzten Reise geschickt, weil Großmutter ihnen geschrieben hatte, dass ich die beiden diesmal besonders vermisse.«
Phil nippt an seinem Drink. Seine ohnehin traurigen Augen sehen nun noch etwas trauriger aus als gewöhnlich.
»Ihre … letzte Reise?«, wiederhole ich ahnungsvoll.
Phil nickt. »Sie sind nicht wiedergekommen. Ich war noch sehr klein und konnte deshalb nicht verstehen, was es bedeutet, wenn jemand verschollen ist. Großmutter hatte zuerst noch Hoffnung, dass die beiden bald wieder auftauchen würden. Deswegen erzählte sie mir, meine Eltern hätten ihren Aufenthalt verlängern müssen. Später erfand sie dann immer neue Geschichten, um mich zu vertrösten. Irgendwann glaubte sie bestimmt selbst nicht mehr an eine Rückkehr meiner Eltern, brachte es aber nicht übers Herz, mir die Wahrheit zu sagen.«
»Tut mir echt leid, Mann«, sage ich.
Phil nimmt einen Schluck und hängt ein paar Momente seinen Gedanken nach. »Ist lange her. Inzwischen weiß ich, dass meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Als junger Mann bin ich nach Südamerika geflogen und habe Nachforschungen angestellt.«
»Krass. Das ist dann ja bestimmt hundert Jahre später gewesen, oder?«
Phil sieht mich irritiert an.
»Fünfzig?«, rate ich ins Blaue hinein. »Siebzig? Achtzig?«
»Lass das mal mit dem Rechnen, Ray. Zumindest vorerst. Tatsächlich waren es so etwa fünfzehn Jahre später …«
»Was ja auch verdammt viel ist«, werfe ich kompetent ein.
Phil nickt amüsiert. »Jedenfalls ist mir nach dieser Reise aufgegangen, dass ich offenbar ein Talent dazu habe, Dinge herauszufinden.«
»Dann haben dich also deine Eltern darauf gebracht, Privatdetektiv zu werden«, schlussfolgere ich. »Gewissermaßen.«
Phil stutzt, dann nickt er, und es scheint, als wäre ihm dieser Gedanke tatsächlich neu. »Stimmt. In gewisser Weise haben mich meine Eltern drauf gebracht.« Er lächelt, und für einen Moment ist die Traurigkeit aus seinen Augen verschwunden.
»Hast du je daran gedacht, Kinder zu haben?«, frage ich und flaniere den Küchentresen entlang bis zu einem kleinen Fenster, durch das man in den Hinterhof schauen kann.
»Hat sich nicht ergeben«, antwortet Phil.
»Du hast eine Müllkippe für alte Autos hinterm Haus«, stelle ich fest.
»Das ist eine Werkstatt«, höre ich Phil sagen. Fast im gleichen Moment taucht sein Kopf neben mir auf, und wir schauen gemeinsam in den langsam in der Dämmerung verschwindenden Hinterhof.
»Da vorn. Das ist meiner«, sagt Phil und zeigt stolz auf ein schwarzes Auto ohne Reifen und ohne Türen. Ich glaube, es hat nicht mal einen Motor.
»Und was soll das sein?«
»Ein alter Citroën. Eines Tages werde ich ihn wieder flottmachen.«
Ich sehe Phil an und vermute, dass er zu schnell getrunken hat. »Das ist ein Schrotthaufen«, stelle ich fest.
»Das ist ein Citroën DS Pallas«, korrigiert Phil. »Eines der schönsten Autos, die jemals gebaut wurden. Es hat in dem Film ›Der eiskalte Engel‹ mitgespielt. Solltet ihr mal bei euch im Kino zeigen.«
Ich betrachte den Schrotthaufen und nicke, als hätte ich verstanden. In Wahrheit ist mir
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