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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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Das Zigarettenmädchen. Die Frettchen. Der Schlag auf den Kopf. Wie lange war ich bewusstlos? Wo bin ich? Und was hat man mit mir vor?
    »’tschuldigung, kann mir vielleicht jemand sagen, wo wir hier sind?«, frage ich freundlich in die Runde.
    Keine Reaktion.
    Gleich links neben mir steht ein Käfig, in dem ein Bonobo hockt, der apathisch vor sich hinstiert.
    »Hey! Kumpel, weißt du zufällig, wo wir sind?«, frage ich. Bonobos mögen es, wenn man sie wie langjährige Freunde behandelt, auch wenn man sich gerade erst kennengelernt hat.
    »Lass den mal in Ruhe. Der Junge ist fertig«, wirft ein farbenprächtiger Papagei in einem Käfig zu meiner Rechten ein. »Sie haben ihn im tiefsten Afrika geschnappt. Hatte bis dahin noch nie Menschen gesehen. Auch keine Schiffe, keine Flugzeuge und erst recht keine Stadt. Hat den Guten ein bisschen überfordert. Deshalb sind ihm die Sicherungen rausgeflogen.«
    Ich mustere meinen eloquenten gefiederten Nachbarn.
    »Luis Pedro José Galvárez. Aber du kannst Lu zu mir sagen.«
    »Freut mich Lu, ich bin Ray. Und du kennst dich hier also aus?«
    »Kommt drauf an, was du wissen willst.«
    »Alles«, erwidere ich. »Ich bin leider völlig ahnungslos.«
    »Bist du sicher, dass du die ganze Wahrheit hören willst?«
    Ich zucke mit den Schultern. Nach allem, was ich erlebt habe – was soll mich da jetzt noch aus der Ruhe bringen?
    Der Papagei streckt sich. »Nun gut. Wir sind im Hinterzimmer einer Zoohandlung. Wenn du dich umsiehst, wirst du feststellen, dass sich hier keine Haustiere befinden. Alle in diesem Raum stehen unter Artenschutz, was heißt, dass mit ihnen kein Handel getrieben werden darf.«
    »Aber?«, frage ich und ahne noch immer nicht, was jetzt kommt.
    »Aber einige Menschen nehmen es nicht so genau mit Verboten. Sie machen trotzdem Geschäfte mit uns. Illegal. Wir werden unterm Ladentisch verkauft. An sogenannte Liebhaber, die es nicht an die große Glocke hängen, dass sie seltene Tiere im Keller halten.«
    Wie schon bei dieser Sache mit der Zigarettenmaus bekomme ich auch jetzt ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. »Du meinst, wir sollen bei irgendwelchen Leuten quasi als Haustiere leben? Etwa … allein?«
    Lu wiegt bedächtig den Kopf. »Ich hab dich ja eben gefragt, ob du wirklich die ganze Wahrheit wissen willst.«
    »Aber das kann doch nicht wahr sein«, erwidere ich fassungslos. »Ich soll meinen Clan nie wiedersehen? Und ich soll in einem Keller leben? Bin ich etwa eine gottverdammte Ratte?«
    »Keine Sorge«, sagt Lu gelassen. »Ich habe das alles schon ein paarmal erlebt. Es gibt immer irgendeine Fluchtmöglichkeit. Man muss nur lange genug warten können.«
    »Und wie lange ist lange genug?«, will ich wissen.
    »Ein paar Monate. Vielleicht ein Jahr, vielleicht auch zwei«, mischt sich eine Schildkröte aus dem gegenüberliegenden Regal ein. »Aber spielt das eine Rolle? In Gefangenschaft ist ein Tag wie der andere. Irgendwann verliert man jedes Zeitgefühl.«
    »Das ist Mr Dickens«, raunt Lu mir zu. »Ich hab läuten gehört, er ist über hundert Jahre alt und hat den größten Teil davon in Gefangenschaft verbracht.«
    »Da haben Sie richtig gehört, Sir«, erwidert Mr Dickens, der offenbar jedes Wort verstanden hat. »Seit wir Indien den Indern zurückgegeben haben, ist es stetig abwärtsgegangen. Nicht nur mit mir und dem Commonwealth, sondern mit diesem ganzen bemitleidenswerten Planeten …«
    »Kann mal jemand diesen scheiß Royalisten abstellen?«, beschwert sich ein Fischotter im Regal unter Mr Dickens. »Ich hab mir diesen Schwachsinn schon gestern anhören müssen.«
    »Kanadier«, erwidert Mr Dickens abschätzig. »Können nichts als Fische fangen und dumme Sprüche klopfen.« Dann zieht sich der alte Schildkröterich schmollend in den hinteren Teil seines Käfigs zurück.
    »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie lange ich schon hier bin, Lu?«, will ich von meinem Käfignachbarn wissen.
    »Gestern warst du noch nicht da. Ich schließe daraus, dass du seit einer Nacht und einem Tag hier sein musst.«
    »War ich etwa den ganzen Tag über bewusstlos?«
    Lu nickt. »Der Laden schließt gleich.«
    Erst jetzt merke ich, dass mir meine Zunge wie ein trockener Lappen im Maul hängt. Außerdem knurrt mein Magen wie ein Steppenwolf mit extrem schlechter Laune.
    »Wann gibt es hier denn was zu beißen?«, will ich wissen.
    »Kurz nach Ladenschluss schauen potentielle Käufer vorbei. Entweder kommst du dann zu einem neuen Herrchen, oder du

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