Ausgefressen
verbringst hier eine weitere Nacht und kriegst den Standardfraß, den wir alle bekommen.« Obwohl die mimischen Fähigkeiten von Papageien noch beschränkter sind als die von Erdmännchen, glaube ich, Lu anzusehen, dass er gerade angewidert sein Gesicht verzieht. »In deinem Käfig müsste außerdem eine Schüssel mit Brackwasser stehen. Wahrscheinlich hast du sie versehentlich unter dem schimmeligen Stroh vergraben«, ergänzt Lu.
Während der Streit zwischen Mr Dickens und dem kanadischen Fischotter neu aufflammt, weil Mr Dickens eine böse Bemerkung über Lachs fischende Analphabeten ins Halbdunkel geflüstert hat, fühle ich mich bleiern. Der Gedanke daran, dass mein bisheriges Leben nun vorbei sein soll, schnürt mir das Herz ein. Kann das wirklich wahr sein? Werde ich nie wieder meine nervige Familie sehen? Werde ich nie wieder einen Blick in den Käfig dieser herzlosen Schlampe Elsa werfen? Werde ich nie wieder von missratenen Schülern mit Pausenbroten beworfen? Und werde ich nie wieder die Sonne über diesem Moloch von Stadt aufgehen sehen?
Mein nächster Gedanke ist: Ich muss aus diesem verdammten Hinterzimmer heraus, egal wie. »Lass uns abhauen, Lu. Du hast eben selbst gesagt, dass es immer eine Möglichkeit gibt.«
Lu schüttelt den Kopf. »Vergiss es, Ray. Ich wüsste nicht, wer es je geschafft hat, aus diesem Laden rauszukommen. Du musst Geduld haben und dann noch das Glück, dass dein neuer Besitzer ein bisschen nachlässig ist, was die Sicherheitsvorkehrungen betrifft.«
Ich spüre, wie sich meine bleierne Angst in lodernde Verzweiflung verwandelt. Während sich Mr Dickens und der Fischotter Bosheiten zufauchen und ein Ozelot darüber jammert, dass er bei dem Krach nicht schlafen kann, höre ich durch die geschlossene Tür zum Verkaufsraum eine vertraute Stimme. Eigentlich ist es mehr ein unverständliches Brummen, und doch würde ich diesen Ton unter tausend anderen Tönen erkennen.
»Phil!«, rufe ich lauthals, und sofort wird es um mich herum still. »Phiiil!«
»Wer ist denn Phil?«, will Lu wissen.
»Mein Freund und Partner. Phiiiiiil!«
»Partner? Was denn für ein Partner?«, fragt der Fischotter.
»Ich bin Detektiv«, erkläre ich. »Und ich arbeite mit einem Menschen zusammen.« Wieder will ich Phils Namen rufen, aber in diesem Moment erhebt sich lautstarkes Gelächter.
»Ruhe, verdammt«, brülle ich, besorgt darüber, dass Phil mein Rufen überhören könnte.
»Ein Detektiv«, höhnt Mr Dickens. »Wenn neuerdings Erdmännchen Detektive werden, dann sollte ich vielleicht mal versuchen, mich als Wache am Buckingham Palast zu bewerben.«
Wieder Gelächter.
»Bitte, könnt ihr nur ein paar Sekunden ruhig sein«, appelliere ich verzweifelt an die schnatternden, quiekenden, grunzenden und schnaufenden Tiere, aber in diesem Moment ist auch schon das Läuten der Ladenglocke zu hören und im Verkaufsraum herrscht wieder Stille.
Lu, der als Einziger ernst geblieben ist, erkennt meine Verzweiflung. »Wenn das eben dein Kumpel war, dann hat er dich nicht gehört.«
Ich sinke in mich zusammen, während das Gelächter langsam verebbt. Nach dieser haarscharf verpassten Chance sollte ich mich wohl endgültig damit abfinden, künftig bei einem perversen Freak zu leben, der seinen Keller mit gefährdeten Arten vollstopft.
In diesem Moment geht erneut die Türglocke, und gleich danach ist laut und deutlich eine fremde Stimme zu hören, die wahrscheinlich dem Ladenbesitzer gehört: »Nein! Lassen Sie das! Sie dürfen da nicht rein!«
Und während die Tür zu unserem Gefängnis von Phil mit einem kräftigen Fußtritt aus den Angeln gebolzt wird, hört man den Ladenbesitzer schimpfen: »Hören Sie sofort auf, oder ich hole die Polizei!«
Dann steht Phil im Raum, betrachtet die Käfige und die darin hockenden, geschockten Tiere. Lässig zieht er seine Ray-Ban vom Kopf und sieht in meine Richtung. »Alles okay, Partner?«
Jetzt drehen sich sämtliche Köpfe zu mir.
»Alles okay«, erwidere ich. »Außerdem bin ich echt erfreut, dich zu sehen, Partner.«
Hinter Phil erscheint nun der schmächtige, blasse Ladenbesitzer.
»Was ist, haben Sie die Polizei gerufen?«, fragt Phil.
»Können wir das vielleicht anders regeln?«, will der Ladenbesitzer wissen.
Phil schaut mich an. In seinen Augen lese ich die Frage, wie es jetzt weitergehen soll.
Ich wende mich meinem Nachbarn zu. »Okay, Lu. Du hast das Kommando. Was sollen wir machen?«
Lu streckt sich und wiegt bedächtig den Kopf. In
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