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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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stünde gerade vor mir. Die Chinchillalady bemerkt mein Erstaunen.
    »Kann ich etwas für dich tun? Möchtest du vielleicht ein Autogramm?«
    Ich nicke und trete verdattert zur Seite, damit die anderen Musiker vorbeikönnen.
    Sie zieht lächelnd eine Karte und einen Stift aus ihrem Handtäschchen. Während sie das Foto signiert, habe ich Gelegenheit, sie mir genauer anzusehen. Obwohl die Jazzlady älter ist und obendrein verlebter aussieht als Elsa, ist die Ähnlichkeit frappierend.
    »Viel Spaß damit, Kleiner«, sagt sie, reicht mir die Karte und wendet sich ab, um ihrer Band zu folgen.
    »Kennen Sie zufällig eine Elsa?«, rufe ich ihr hinterher.
    Nicht nur die Jazzlady hält inne. Auch ein Wiesel mit Halbglatze und einem roten Halstuch dreht sich zu mir um. Das Wiesel hat eine Mundharmonika unter den Vorderlauf geklemmt und sieht damit aus, als müsste es gleich noch auf einem Mississippidampfer auftreten.
    »Was ist los dir mit, Mann?«, will das Wiesel wissen. »Bist du betrunken? Oder kannst du nicht lesen?« Es zeigt auf die Autogrammkarte, die ich in den Klauen halte, dann auf die Jazzlady. »Das hier ist Elsa.«
    »Schon gut, Billy«, mischt sich die Jazzlady ein und mustert mich. »Geht schon mal vor, ich regele das hier mit …« Sie sieht mich fragend an.
    »Ray«, sage ich.
    Sie nickt, und während das Wiesel kopfschüttelnd der Band hinterhertrottet, zieht die Jazzlady mich mit sanfter Gewalt neben die Bühne, wo es etwas ruhiger ist.
    »Was sollte das denn?«
    »Ich kann wirklich nicht lesen«, gebe ich zu. »Und ich kenne eine Elsa, die Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten ist.«
    In Ihren Augen flackert ein Gemisch aus Argwohn und Hoffnung. »Das müsste ein verdammt großer Zufall sein«, sagt sie.
    »Ich glaube, dass die Ähnlichkeit kein Zufall ist«, erwidere ich und überlege, ob ich vielleicht doch das Zeug zu einem Schnüffler habe.
    »Ich habe eine kleine Halbschwester, die ebenfalls Elsa heißt«, sagt sie nach kurzem Zögern. »Früher sind wir zusammen aufgetreten. Bevor ich Billy und die Jungs kennengelernt habe.«
    »Elsa war Sängerin?«, frage ich erstaunt.
    »Sie war ein Ausnahmetalent. Wahrscheinlich wäre ein Star aus ihr geworden, wenn sie dem Druck standgehalten hätte.« Die Jazzlady zwinkert nervös mit den Augen. Eine Reihe ihrer falschen Wimpern hat sich gelöst. Vorsichtig zieht sie das Ding ab und sieht nun noch ein bisschen müder und verlebter aus als zuvor. »Eines Tages ist sie einfach ausgestiegen. Wollte von heute auf morgen ein neues Leben anfangen. Irgendwo, wo sie keiner kennt.«
    Ich lese in ihren Augen, dass sie sich Sorgen um ihre kleine Halbschwester macht.
    »Es geht ihr gut«, sage ich, und nach kurzer Überlegung füge ich hinzu: »Ich könnte ihr eine Nachricht zukommen lassen.«
    Elsa, die Ältere, wirkt erfreut, dann überlegt sie einen Moment. »Wir spielen jeden Mittwoch im
Pinguin
. Das ist der Club, in dem ich mit Elsa zum ersten Mal aufgetreten bin.«
    Ich nicke. »Gut. Werde ich ihr sagen.«
    Sie lächelt dankbar. »Und sag ihr bitte auch, dass ich mich sehr, sehr freuen würde, sie wiederzusehen. Sehr.«
    Sie wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Dabei lösen sich auch die zweiten falschen Wimpern. Vorsichtig zieht sie auch die ab, nickt zum Abschied und verschwindet in der Menge.
    Jetzt wird mir einiges klar. Elsas elegante Bewegungen, ihr Sinn für glamouröse Auftritte und nicht zuletzt ihre betörende Stimme sind nicht einfach ein Geschenk der Natur, sondern das Ergebnis einer Bühnenausbildung. Hätte nicht die Sache mit Giacomo meiner Liebe zu Elsa den Dolchstoß versetzt, wäre es wohl die Erkenntnis gewesen, dass ihr ganzes Auftreten so unecht ist wie die Wimpern ihrer Halbschwester. Dass ich Beas Spur verloren habe und auf dieser Party gelandet bin, ist also Glück im Unglück. Je mehr Risse Elsas Denkmal bekommt, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich sie eines Tages vergessen kann. Und in den letzten Minuten hat Elsas Denkmal verdammt viele Risse bekommen.
    Gerade jetzt habe ich sogar das Gefühl, mein gebrochenes Herz könnte spontan zu heilen beginnen. Das liegt aber nicht allein an der Geschichte, die ich eben gehört habe, sondern auch an den provozierenden Blicken eines langbeinigen und überaus attraktiven Zigarettenmädchens. Die Wüstenspringmaus bugsiert ihren Bauchladen zielsicher in meine Richtung und schaut mir dabei direkt in die Augen.
    »Was zu rauchen, Darling?«, haucht sie mir ins Ohr.
    Ich

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