Ausgefressen
oder?«
Ich muss zugeben, da ist was dran. »Glaubst du, dass Bea noch eine Lösegeldforderung stellen wird?«
Phil ist überrascht. »Genau das habe ich mich auch gerade gefragt.«
»Und? Was sagt dein Bauchgefühl?«
»Dass es wahrscheinlich keine Lösegeldforderung geben wird«, erwidert Phil. »Was da auch immer schiefgelaufen ist im Zoo, Bea setzt offenbar alles daran, sich keines Verbrechens schuldig zu machen – und erst recht keines Mordes. Vielleicht ist das sogar der Deal zwischen den beiden. Sie pflegt ihn gesund, er verpfeift sie nicht.«
»Dann kreuzt der Alte also in ein paar Tagen quietschfidel wieder bei seiner Tochter auf, oder wie?«
»Schon möglich«, erwidert Phil. »Leider können wir uns nicht darauf verlassen, dass er quietschfidel sein wird. Außerdem gibt es noch die andere Möglichkeit, dass er seine Entführung nur vorgetäuscht hat.«
»Was sollte er damit bezwecken?« frage ich.
Phil zuckt mit den Schultern. »Vielleicht will er irgendwelche Leute Glauben machen, dass er nicht mehr am Leben ist.«
»Und Constanze darf das nicht wissen?«
Phil zuckt wieder mit den Schultern. »Dunkle Geschäfte?«
»Oder er ist doch entführt worden«, sage ich.
»Aber aus irgendeinem Grund verzögert sich die Lösegeldforderung«, ergänzt Phil meine Überlegungen.
Ich ärgere mich. »Wenn Bea mir nicht durch die Lappen gegangen wäre, könnten wir den Fall jetzt wahrscheinlich abschließen«, stelle ich zerknirscht fest.
»So was kommt vor«, winkt Phil ab. »Du bist nicht der Einzige, dem eine Zielperson entwischt ist. Das hab ich auch schon hinter mir.«
»Echt?«, frage ich mit großen Augen.
Phil nickt. »Denk nicht mehr dran. Das ist passiert und damit Vergangenheit. Wichtig ist jetzt, das Gebiet einzugrenzen, in dem sich Bea und von Sieversdorf aufhalten. Wohin ist sie gegangen?«
Ich zeige in die entsprechende Richtung.
»Das heißt nach Osten.« Phil überlegt. »Wäre interessant zu wissen, in welcher Himmelsrichtung die beiden den Zoo verlassen haben. Wir könnten versuchen herauszufinden, ob die Wege sich kreuzen. Irgendwo da müsste dann von Sieversdorf zu finden sein.«
Phil scheint mir anzusehen, dass ich nicht verstanden habe, was er vorhat.
»Wenn du zwei Wege hast, die zum gleichen Ziel führen, dann kreuzen sich die Wege dort, wenn man sie gedanklich verlängert. Es wäre also eine Möglichkeit, den Weg vom Zoo …«
»Schon gut«, sage ich. »Das heißt in jedem Fall, wir brauchen die Hyäne.«
»Moment, Ray …«, beginnt Phil.
»Keine Sorge, Partner. Ich werde ein Auge darauf haben, dass es nicht zu teuer für dich wird. Außerdem trifft es sich gut, dass wir zum Zoo müssen, weil ich sowieso bei meinem Clan vorbeischauen wollte.«
Phil nickt. »Okay. Dann lass uns keine Zeit verlieren.«
Ich betrete unser Gehege durch den Nordeingang. Es dämmert bereits, aber da wir mit dem Einsatz der Hyäne ohnehin warten müssen, bis es dunkel ist, habe ich Zeit genug, um mich zurückzumelden. In den Gängen herrscht gähnende Leere. Ich bin verwundert, denn es gibt nur zwei Anlässe, bei denen ein Erdmännchenclan darauf verzichtet, Wachen aufzustellen. Der erste ist, dass der Clan sein Revier verlassen will und sich zum Aufbruch formiert. Kommt bei Clans im Zoo praktisch nicht vor. Der zweite mögliche Grund lautet: Der Clanchef ist tot. In diesem Fall versammeln sich nämlich alle Clanmitglieder ohne Ausnahme im größten Raum des Baus.
Während ich durch die leeren Gänge stolpere, dringt langsam in mein Bewusstsein, dass ich auf dem Weg zur Beerdigung von Pa sein könnte. Ich spüre, dass mein Herz wie wild hämmert und meine Kehle trocken wird. Vielleicht gibt es ja noch einen dritten plausiblen Grund, warum keine Wachen aufgestellt worden sind, versuche ich mich zu beruhigen.
Doch dann habe ich Gewissheit. Ich höre monotones Summen. Es ist das uralte Trauerlied der Erdmännchen. Langsam und wie in Trance bewegen sich die Clanmitglieder hin und her. Sieht aus, als würden alle von einem sanften Wind bewegt. Kein Zweifel, das hier ist eine Totenfeier.
Ich müsste mich in den Trauerchor einreihen, doch stattdessen werde ich von meinen Gefühlen überwältigt wie ein Ertrinkender von meterhohen Wellen. Tränen schießen mir in die Augen. Ich verdrücke mich in eine dunkle Ecke, wo ich meinem Schmerz freien Lauf lassen kann. Warum musste Pa ausgerechnet sterben, als ich nicht hier war? Hätte es etwas geändert, wenn ich nicht fortgegangen wäre? Hätte
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