Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
billigste Qualität unter fragwürdigsten Bedingungen en masse produziert werden.
Aber täuschen wir uns nicht: Kein Hersteller muss das tun. Es ist eine Wahl. Und wer sich dafür entscheidet, der wählt ein Spiel mit dem Feuer.
Ausgespielt
Ich kenne einen Insolvenzverwalter, der vor kurzem einen großen Mineralwasserbrunnen schließen musste, der in die Fänge des Lebensmitteleinzelhandels geraten ist. Der Brunnen wurde von einer der großen Ketten erpresst, das Mineralwasser zu Preisen unterhalb der Gestehungskosten zu liefern. Andernfalls hätte der Handel von heute auf morgen die Wassermarke einfach ausgelistet, wie das so schön heißt, und der Brunnen wäre sofort vor dem Nichts gestanden, denn ein derartiger Absatzeinbruch wäre kurzfristig nicht aufzufangen gewesen. Das Management zog den schleichenden Tod dem Fallbeil vor und ließ sich auf das schmutzige Geschäft ein. Mit jeder Flasche Mineralwasser, die der Brunnen auslieferte, machte er nullkommanochmalwas Cent Verlust. Er konnte lediglich den Strom und die Arbeitsgehälter noch eine Zeit lang bezahlen. Irgendwann war dann das Kapital aufgebraucht, und der Kuckuck klopfte an die Tür.
Sein Wasser wurde in der 1,5-Liter-PET-Flasche für 19 Cent pro Flasche im Handel verkauft, um die Leute in die Läden zu locken. Ähnlich wie Bier ist Mineralwasser für den Handel ein absatzpolitisches Produkt. 19 Cent, Hammerpreis, jeder denkt, das muss er mitnehmen. Und weiß nicht, was er damit unterstützt.
Branchenkenner dachten lange, bei 19 Cent pro 1,5 Liter in der PET-Flasche sei die unterste Grenze erreicht, da kommt keiner mehr drunter. Aber sie haben die Rechnung ohne den Lidl gemacht. Im Sommer sah ich eine Lidl-Werbung und traute zuerst meinen Augen nicht – und dann hat es mich fast umgehauen: 10 Prozent Rabatt auf die 1,5-Liter-Flasche, also 17 Cent. Und jetzt kommt’s: Während des Aktionszeitraumes spendet Lidl zudem 1 Cent pro verkaufter Flasche der Eigenmarke Saskia an die Äthiopienhilfe »Menschen für Menschen«. Unter dem Deckmäntelchen der Hilfe für Afrika mit einem unmöglichen Preis den Wettbewerb angreifen? Das ist einfach nur noch zynisch, abstoßend und widerlich.
Das Prinzip »Preis über alles« ist pure Zerstörung. Das müssen wir endlich verstehen. Es zerstört die gewachsenen Produktionsstrukturen von der Landwirtschaft bis zur Industrie, es zerstört einstmals stolze Marken, es zwingt die Hersteller dazu, in Ländern einzukaufen, in denen so produziert wird wie bei uns vor hundert Jahren. Das Prinzip »Preis über alles« wirkt wie eine Zeitmaschine. Alles, was wir uns an Arbeitsbedingungen, Prozessen, Know-how und Strukturen über Jahrhunderte erarbeitet haben, werfen wir weg für ein paar gesparte Cent hier und da.
Wir haben bei uns in unserem eigenen Land gegen viel Widerstand vieles durchgesetzt, um uns das Leben schöner zu machen. Wir haben die Facharbeiter solide ausgebildet, mit dem einst besten Bildungssystem der Welt. Wir haben die Arbeitsumgebungen von gesundheitsschädlichen Praktiken befreit, wir haben in vielen Innovationsschritten modernste Methoden entwickelt, um die Produkte herzustellen. Wir haben sogar für weitgehende Umweltverträglichkeit in der Industrie gesorgt und unsere Flüsse und die Luft wieder sauber gemacht. Und jetzt kaufen wir unter dem Preisdogma all die Dinge, die in Fernost und in anderen Billiglohnländern genauso produziert werden, wie wir es heute nicht mehr wollen. Ja, sind wir denn wahnsinnig?
Plastik im Kopf
Wow, die Plastikkühlbox für den Zigarettenanzünder im Sparpack zusammen mit dem Klappstuhl aus vietnamesischer Produktion mit zwei Bierdosenhaltern für 9,99 Euro. Hammerpreis! Den muss ich mitnehmen. – Wir sind Impulskäufer, Schnäppchenjäger, Last-Minute-Käufer, Happy-Hour-Konsumenten, Outlet-Center-Stöberer, Grabbeltisch-Wühler, wir folgen dem Jagdtrieb und dem Sammeltrieb. Denn das liefert sofort Erfolgserlebnisse. Jetzt hab ich was geschossen! Jetzt hab ich was gefunden! Da werden die Glückshormone ausgeschüttet, das bringt uns über den Tag.
Jeder findet es toll, wenn ein Schreiner Möbel herstellt, die hundert Jahre haltbar sind und jeden Umzug überstehen – geht aber trotzdem zu Ikea und kauft ein Möbel, das nur ein Drittel kostet und nach einem Zehntel der Zeit auseinanderfällt.
Niemand will Chemie in Lebensmitteln und Plastikmüll – aber wegen ein paar Cent kaufen wir statt der bewährten Glas-Mehrwegflasche unser Mineralwasser in hässlichen
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