Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
die für ihre Wiederwahl jede Schweinerei mitmachen, gierige Banker, die unter zweistelligen Renditen ihren Füller gar nicht erst aufschrauben, rücksichtslose Manager, die für einen guten Jahresbonus ihre eigene Mutter verkaufen würden … das sind unsere Feindbilder. Aber ob die Feindbilder nun zutreffen oder ob sie nur übertriebene Zerrbilder sind: Genau dieselben Leute, die unseren gesellschaftlichen Eliten moralisches Versagen vorwerfen, finden als Konsumenten Egozentrik, Gier und Rücksichtslosigkeit plötzlich geil und stellen den Götzen Preis über alle Werte, geilen sich an der optischen Verbindung von Niedrigstpreisen mit leicht bekleideten, hüpfenden Party-Mädels in der Werbung auf und merken nicht, welch niedere Triebe da in ihnen angesprochen werden. Die Kunden werden mit Reeperbahn-Methoden in die Läden gelockt und fühlen sich, unterstützt durch eine weitere Kampagne von Media Markt, auch noch im Recht: »Ich bin doch nicht blöd!« und »Lalalalasst euch nicht verarschen!« – als ob es ein Grundrecht auf niedrige Preise gäbe!
Die Werbung der Discounter und Handelsketten ist mittlerweile bei der Gehirnwäsche angekommen, sie geht massiv unsere Werte an und instrumentalisiert unsere Triebe für Impulskäufe in einem Ausmaß, das nur für diejenigen nicht erschreckend ist, die sich im Lauf der Jahrzehnte daran gewöhnt haben.
Ich weigere mich, mich daran zu gewöhnen. Für mich ist diese Sorte Werbung nicht nur abstoßend, sondern jenseits unserer gesellschaftlichen Normen und Werte. Sie markiert eine Unterwerfung unter das Preisdogma, die Millionen von Menschen jeden Tag das Geld aus der Tasche zieht – für häufig minderwertige Ware. Diese Sorte Werbung baut gleichzeitig eine Aversion gegen Anbieter auf, die für ein gutes Produkt einen angemessenen, also höheren Preis verlangen. Qualitätsanbieter werden durch die Kampagne als Abzocker hingestellt, auf die nur hereinfällt, wer »blöd« ist oder sich »verarschen lässt«. Die implizite Aggressivität dieser Kampagnen ist unglaublich.
Noch unglaublicher ist allerdings, dass wir durch den jahrzehntelangen Dauerwerbebeschuss aus den Preiskampfbasen der Supermarktstreitkräfte mittlerweile schon so abgestumpft sind, dass wir diesen skrupellosen Werbefeldzügen so arglos auf den Leim gehen. Wer sich einreden lässt, dass ein gutes Produkt zu einem guten Preis Verarschung ist und dass es geiler ist, geizig zu sein, der hat sich offensichtlich bereits zu einem guten Stück verblöden lassen.
Sorry. Das musste mal gesagt werden.
Kahlschlag
Der Flurschaden der Preisabwärtsspiralen ist immens. Auf der Strecke bleiben unter anderem auch viele einstmals erfolgreiche Hersteller und viele einstmals gute Marken.
Nehmen wir Beck’s. Das war einmal die stolzeste deutsche Biermarke. Sie hatte alles. Sie hatte Geschichte – Beck’s hatte auf der Weltausstellung 1876 in Philadelphia die Goldmedaille für das »beste aller kontinentalen Biere« gewonnen. Sie hatte Innovation – Beck’s erfand das Sixpack. Sie hatte Bedeutung – Beck’s startete nach dem Krieg die Kampagne »Beck’s Bier löscht Männerdurst« und streichelte die verletzte deutsche Männerseele. Sie hatte Größe – Beck’s steigerte den Absatz von 100 000 Hektoliter nach dem Krieg auf über 5 Millionen Hektoliter Mitte der 90er Jahre. Sie hatte Sinn für Tradition – noch nach der Jahrtausendwende lieferte die Brauerei das Bier in Bremen mit Pferdegespannen aus. Sie hatte Charisma – Beck’s sponserte den Umbau der »Alexander von Humboldt«, stattete das Schiff mit grünen Segeln aus und nutzte es als visuellen und emotionalen Anker in der Werbung. Sie hatte Geschmack – Beck’s war ein wirklich großes Pilsener, und die deutsche Braubranche war sich einig: Beck’s ist das einzige deutsche Bier mit Weltruf. Kurz: Beck’s müsste klassischerweise das teuerste Pils in Deutschland sein! Und das war es auch.
Den Rest der Geschichte erzählt man sich unter Brauern so: Im Jahr 2002 kam dann Interbrew, die größte Brauerei der Welt, und kaufte Beck’s für 1,8 Milliarden Euro. Der belgisch-brasilianische Konzern, der heute nach weiteren Akquisitionen unter Anheuser-Busch InBev (ABInbev) firmiert, hat über 120 000 Mitarbeiter und verkauft auf der ganzen Welt mehr als 300 Getränkemarken. Beck’s ist nur eine davon.
Und mit der Eingliederung in den rein renditeorientierten und Zahlen-Daten-Fakten-gesteuerten Weltkonzern wurde die einstmals stolze Biermarke zum Pot
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