Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
kann keinen Stoffwechsel betreiben, keinen Warentransport realisieren, es kann seine Symbionten nicht vergüten. Eine Branche ist gesund, wenn in ihr viel Geld zirkuliert und alle Teile des Systems am Leben hält. Geben und nehmen: Geld muss fließen.
Aus Sicht der Ökologie muss ein solches komplexes System immer gut durchfeuchtet und satt mit Nährstoffen versorgt bleiben, damit es fortbestehen kann.
Aus Sicht der von den Aktionären beliehenen Funktionsträger, der kostenfixierten Manager und Controller, sieht das ganz anders aus: Der Gewinn muss maximiert werden, weil auftragsgemäß die Rendite gesteigert werden soll. Also müssen die Kosten maximal gesenkt werden. Das heißt: Alles, was nicht sicht- und messbar zur Renditesteigerung beiträgt, wird abgeschafft. Die Komplexität des Beziehungsgeflechts, der Wert des Mutterbodens und all die nicht quantifizierbaren Faktoren, die eine lebendige Branche ausmachen, werden dabei ignoriert. Ja, sie werden als nicht existent betrachtet, überflüssiges Getue, nicht handhabbare »weiche Faktoren«: »If you can’t measure it, you can’t manage it«, wurde vom einflussreichen amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler und Controlling-Vordenker Robert S. Kaplan an der Harvard Business School gelehrt. Übrigens ist Kaplan unter anderem Ehrendoktor der Universität Stuttgart, was gar nicht nötig gewesen wäre, um hierzulande tiefste Spuren zu hinterlassen.
Aus der simplifizierenden, zahlengefilterten Sicht der Manager bleibt die Komplexität des Geschäfts unsichtbar: Natürlich kann man einfach einem Mitarbeiter einen Euro weniger in der Stunde zahlen und/oder mehr Arbeitsleistung für das gleiche Geld aus ihm herauspressen und/oder das Arbeitsumfeld des Mitarbeiters verbilligen. Dadurch steigt der Gewinn. So weit, so gut.
Aber das bewirkt ja auch noch etwas darüber hinaus: Die Beziehungen des Mitarbeiters zu seinem Chef, zu seinen Kollegen, zu den Kunden, sein Engagement, der Enthusiasmus, die Treue und Loyalität, der Spaß an der Arbeit, die Freude am Produkt, seine Stellung in seiner Familie bzw. in seiner Paarbeziehung, sein Selbstwertgefühl, sein Stolz und sein allgemeines Wohlbefinden – all das und noch viel mehr wird durch so einen Nährstoffentzug verändert. Und die Veränderung lässt sich auch nicht punktuell eingrenzen, sie pflanzt sich durch Kommunikation unter den Kollegen und den Kunden fort. Zuerst langsam, dann mit fortschreitendem Mangelerlebnis immer schneller. Das alles ist aus Controllingsicht nicht messbar, die Zahlenmenschen sind auf diesem Auge gerne blind – aber die Phänomene sind real.
Wird einer Branche oder einem Unternehmen das zirkulierende Geld dauerhaft entzogen und verknappt, dann verarmt der Boden, und es entsteht nach und nach eine geschäftliche Wüste. So ein kostenoptimierter Supermarkt von heute ist bereits eine sehr karge Halbwüste. Der Humus ist schon fast komplett abgetragen und ausgewaschen. Die Supermarktkultur ist im Vergleich mit einem Wochenmarkt oder einem türkischen Obstgeschäft erbärmlich arm. Das kann man beispielsweise qualitativ an der Kommunikation der Menschen ablesen. Die Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Kunden ist in einem handelsüblichen Supermarkt auf ein Minimum reduziert: »Tag.« – »Tag.« – »37,55.« – »Hab’s nicht klein.« – »2,45 zurück. Danke.« – »Danke. Tschüss.«
Ablesbar ist die Qualität des Mutterbodens eines Geschäfts beispielsweise auch an der Kleidung der Mitarbeiter, der Freundlichkeit der Gesten, dem Lachen in den Gesichtern, der Sauberkeit der Verkaufsräume. Auch daran, wie wertig die Ladeneneinrichtung ist und wie viel Mühe man sich mit der Inszenierung der Waren gibt: gekonnte Präsentation, gutes Design, angenehme Farben, effektvolle Beleuchtung. Dann die Kundenbeziehungen, wie loyal und treu die Kunden sind, ob sich Kunden und Mitarbeiter beim Namen kennen und sich überhaupt wiedererkennen. Als Nächstes die Kompetenz der Mitarbeiter in der Kundenkommunikation, das warenkundliche Wissen, die Aktualität von Informationen und das Engagement für die Sache, die Liebe zum Produkt und zum Verkaufen, die Service-Qualität, die Sorgfalt bei der Produktauswahl und die Frische und Qualität der Produkte. Weiter: Die Mitarbeiterbeziehungen, die Anzahl und Schwere von Diebstählen innerhalb der Belegschaft, die Fluktuation der Mitarbeiter. Um nur einige Faktoren zu nennen. So ein Ökosystem ist wirklich sehr komplex.
Also: Wenn Sie sich unter all den
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