Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
Wenn aber eine Gesellschaft vergisst, wie man gute Gläser, Töpfe, Schuhe, Messer, Schaufeln, Flaschen und Hemden herstellt und wie man sie erkennt und von schlechten unterscheidet, dann ist das ein großer Verlust an Zivilisation und Kultur. Thomas Hoof nennt das den »warenkundlichen Fadenriss«.
Es ist ein Abstieg.
Und man könnte noch nicht einmal argumentieren, dass es für den Verbraucher eben billiger ist, denn diese Rechnung stimmt ja nicht wirklich. In Wahrheit ist ein billig hergestelltes Wegwerfprodukt auch immer das schlechtere Geschäft für den Verbraucher. Die Gartenschere vom Kaffeeröster bricht im zweiten Jahr, der Schuh kann nicht repariert werden, das Hemd verformt sich beim Waschen – schlechte Produkte nutzen sich ab, gehen kaputt und müssen ersetzt werden. Mit zwei Paar ordentlich gemachten Schuhen, einem Halbschuh und einem halbhohen für je 500 Euro, bin ich fünfzehn Jahre lang top angezogen. Du trägst ihn sechs oder sieben Jahre, bringst ihn zum Besohlen und fertig. Einen Hundert-Euro-Wegwerfschuh aus Fernost kann man ja häufig noch nicht einmal neu besohlen, geschweige denn reparieren. Auf ein Jahr gerechnet ist der Billigschuh wirklich billiger, auf fünf Jahre ist er es schon nicht mehr. Und auf zehn Jahre gerechnet ist die Billigvariante um ein Vielfaches teurer als ihr gutes Pendant – und das gilt für die meisten Produkte.
Das ist das generelle Problem: So wie der Buchdrucker im Fichtenacker in Windeseile seine eigene Lebensgrundlage zerstört, so implantiert der Fluch der niedrigen Kosten die Kurzfristigkeit in unsere Gesellschaft.
Allerdings: Globalisierung und der damit verbundene Kulturverlust in unserer Heimat sind nur eine Folge, Globalisierung ist nicht der Treiber, sondern sie wird getrieben durch die Buchdruckerkultur in unserer Wirtschaft. Und die Wirtschaft, das sind nicht die anderen, sondern die Wirtschaft, das sind Sie. Und ich. Wir alle.
Notdurftanstalten
Die Buchdruckerwirtschaft ist ein einziges riesiges Geldabsaugsystem. Über das Prinzip des billigen Preises wird das Geld von den Konsumenten abgesaugt, die Zulieferer und die Mitarbeiter werden mit dem Prinzip der niedrigen Kosten ausgelutscht. Aber wo geht das ganze Geld nur hin? Es wird jedenfalls nicht in den Handel investiert. Denn auch dort regiert der Buchdrucker:
Neulich stand ich in einem Kaufland-Markt an der Kasse. Als ich da so stand, fiel mir eine Nummer unten an der Laufrolle des Einkaufswagens auf. Ja richtig, über der Rolle des Einkaufswagens hinter mir stand auch eine Nummer, eine andere. Das machte mich neugierig. Was sollten diese Nummern? Ich beobachtete, wie die Kassiererin sich bei jedem Kunden vor mir in der Schlange nach vorne beugte, die Nummer ablas und sie dann in ihre Kasse eintippte. Also fragte ich die Kassiererin, was diese Nummern bedeuteten. Sie antwortete so, wie ich mir das vorgestellt hatte: Sie wüsste es nicht. Abgesehen davon dürfe sie es mir auch nicht sagen. Lustig.
Also wollte ich den Filialleiter sprechen. Nach einigem Telefonieren und genervtem Gezischel hinter mir in der Schlange hatte ich einen Termin: Nächsten Dienstag um acht.
Am nächsten Dienstag stand ich vor dem Filialleiter. Zuerst wollte er nicht mit der Sprache herausrücken. Nachdem ich ihm klarmachen konnte, dass ich Marketingprofi bin und mich schlicht für das Rätsel der Nummern interessierte, ohne irgendein böses Verbraucherschützerding drehen zu wollen, rückte er schließlich mit der Wahrheit raus: Die Nummer bedeutete – gar nichts! Es war eine beliebige Nummer, deren einziger Zweck darin bestand, von der Kassiererin eingetippt zu werden.
Was, reine Arbeitszeitverschwendung? Das konnte ich mir nun wirklich nicht vorstellen. So gut kenne ich den Handel. Irgendetwas war da zu holen, ein paar Cent wurden irgendwie jedes Mal durch die Vorbeugerei und das Eintippen verdient, da war ich mir sicher.
Das Nachhaken half, er gab es zu: Die Nummer gibt der Kassiererin einen Vorwand, um in den Wagen zu gucken. Sobald alle Waren auf dem Band liegen, muss sie die Nummer eintippen. Dadurch, dass die Nummer eingetippt wird, kann der Filialleiter seinerseits kontrollieren, dass die Kassiererin beim Vorbeugen wirklich in den Wagen geschaut hat, um den Kunden zu kontrollieren, dass der nicht versucht hat, Waren unbezahlt durch die Kasse zu schieben.
So weit sind wir also!
Anstatt die Kassiererin anzuleiten, ab und zu mal freundlich zu fragen, ob sie in den Wagen schauen dürfe, will der Supermarkt
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