Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
genannten Gesichtspunkten in den Supermärkten hierzulande umschauen, in den Getränkeabholmärkten, in den Elektronikmärkten, in vielen Gaststätten, im Taxigewerbe, in der Versicherungswirtschaft, in der PC-Branche, bei den Friseuren und den Bäckern, im Mobilfunk-Business, bei den Pflegeberufen – in vielen Branchen ist der Boden nur noch hauchdünn, ausgewaschen von der Zahlen-Daten-Fakten-Denke der Manager und Controller, die über Jahrzehnte systematisch das Geld aus dem System gezogen haben, im Namen der Rendite.
Weite Teile der einstmals stolzen deutschen Wirtschaft vegetieren nur noch vor sich hin, kulturlos, ohne Seele. Diese Unternehmen und die in ihnen verbliebenen Mitarbeiter bilden den Grundstrom der deutschen Mittelmäßigkeit. Schauen Sie sich um!
Kaputtinvestiert
Warum aber handeln die Rendite-Manager überhaupt so? Warum ziehen sie systematisch das Geld aus dem System? Warum stellen sie ihren Beruf unter den Geist der Renditemaximierung? Warum wird das so gelehrt an den Universitäten, und warum ist der Druck auf die Rentabilität und damit auf die Kosten überhaupt allgemein so groß? Wir tun so, als ob das unvermeidlich und selbstverständlich sei, aber wir können es doch hinterfragen.
Auf der Unternehmensebene ist der Schlüssel zum Verständnis das Konzept des Shareholder-Value. Dabei geht es grob gesagt darum, das Unternehmen so zu führen, dass die Erträge für die Anteilseigener Priorität haben. Gerade so, als sei ein Unternehmen nur dazu da, seine Aktionäre reich zu machen. Das ist aber Unsinn. Ein Unternehmen hat nur eine einzige Existenzberechtigung, nämlich Nutzen für die Allgemeinheit zu stiften. Beispielsweise Nahrungsmittel zu liefern, Mobilität zu ermöglichen, Körperpflegeprodukte herzustellen oder Zugang zum Wissen der Welt zu schaffen – also eine Marktlücke zu schließen oder einen Mangel zu beheben, also etwas besser zu machen. Wenn das funktioniert, die Kunden also kaufen, dann ist das wie der Sämling, der Wurzeln schlägt und ein neues Ökosystem begründet. Dann kann das Unternehmen Gewinn erwirtschaften. Gewinn zu erwirtschaften ist für ein Unternehmen überlebenswichtig, und es ist sein wichtigstes
Ziel
– es ist aber nicht seine Existenzberechtigung, geschweige denn sein Sinn.
Erwirtschaftet das Unternehmen Gewinn, dann kann es eine Rendite an die Anteilseigner ausschütten. Eine nachhaltige Rendite ist wie eine Ernte. Das System kompensiert das entnommene Geld und schließt die Lücke, die Ernte ist jedes Jahr möglich und gefährdet den Fortbestand des Ökosystems nicht. Eine nachhaltige Rendite ist völlig legitim und gibt dem Kapitalgeber eine vernünftige und gerechte Vergütung für seine Investition.
Es ist logisch, dass es für die Höhe der Ernte eine natürliche Grenze gibt, ab der das System ausgezehrt wird und die Rendite nicht mehr nachhaltig ist, sondern an die Substanz geht. Wenn den Eigentümern der Fortbestand des Systems egal ist, werden sie diese natürliche Erntegrenze ignorieren. Die Renditeforderungen steigen über das nachhaltige Maß hinaus, und die Wüstenbildung beginnt.
Zehrt ein Organismus einen anderen aus, lebt also eine Spezies auf Kosten einer anderen, dann spricht man von Parasitismus. Wenn ein Unternehmen, das einstmals für einen bestimmten, der Allgemeinheit zugedachten Zweck gegründet wurde, umprogrammiert wird und die Maximierung des Shareholder-Value als oberstes Unternehmensziel verfolgt, dann ist es von einem Parasiten befallen worden. In vielen Fällen wurden Unternehmen infiziert, als sie an die Börse gingen, denn da hatten sie zum ersten Mal mit anonymen Eigentümern zu tun, denen eine persönliche Bindung zu den Unternehmen, ihren Gründern und Mitarbeitern und ihrem Unternehmenszweck von vornherein fehlte.
Sobald aber die emotionale Bindung des Anteilseigners an den eigentlichen Unternehmenszweck verschwunden ist, ist auch das Interesse am langfristigen Fortbestand der »Kapitalanlage« verschwunden. Extreme Renditeforderungen werden dann ganz selbstverständlich, der Shareholder-Value muss von der »Anlage« erbracht werden, denn sonst zieht der Shareholder einfach weiter und investiert sein Geld woanders.
Das Kapital, sagen die Shareholder nämlich, ist ein scheues Reh. Genau, denkt sich dann der Förster: Das Reh ist biologisch betrachtet ein »Konzentratselektierer«, ein Tier, das von allem nur das Beste frisst, nämlich die jungen Triebe und die Knospen. Wenn alle Knospen gefressen sind, dann
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