Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
mir in die Nase. Da hing etwas. Ich zuckte zurück. Wo war der Lichtschalter? Die Tür fiel zu.
Es war stockfinster. „Hallo!“, schrie ich. „Hallo!“ Der Ton hallte seltsam dumpf von den Wänden zurück. Nichts. Ich hielt die Luft an. Kein Geräusch. Nichts. Ich tastete mich zur nächsten Wand. Meine Hand berührte kaltes Fleisch. Mit einem leisen Quietschen baumelte es hin- und her. Ganz ruhig, Mira. Da hing wahrscheinlich ein halbes Schwein oder so etwas Ähnliches. Fleisch, davor fürchtete ich mich doch sonst auch nicht. Ein letztes Quietschen, und das tote Tier hing wieder ruhig da. Wenn man einen Menschen … ich dachte nicht weiter. Das war kein Mensch, sondern ein Tier. Ich zwang mich, daran zu riechen. Es war Schweinefleisch, ganz sicher.
Ich tastete die Türe ab. Irgendwo musste die Schnalle sein. Egal, wer mich draußen erwartete, ich wollte hier hinaus. Ich ermahnte mich, systematisch vorzugehen. Wahrscheinlich hatte ich die Schnalle in meiner Aufregung bloß übersehen. Übersehen? Wie witzig! Bei dieser Finsternis. Also noch einmal. Da war keine Schnalle. Ich fand nur ein kleines Loch, aus dem ein kurzes, viereckiges dünnes Metallstück ragte. Die Schnalle war abgenommen worden. Vielleicht hatte es auch nie eine gegeben.
Man hatte mich hergelockt und eingesperrt. Ich war wie eine Idiotin in die Falle getappt. Ein Briefchen, und schon läuft Mira in den Kühlkeller. Wenn ich wenigstens dem Regieassistenten Bescheid gesagt hätte. Niemand wusste, wo ich war. Lediglich einer der Kameraleute hatte mich im Foyer gesehen. Vor dort aus konnte ich überall hingegangen oder -gefahren sein. Die Proben waren für heute vorbei. Eine halbe Stunde noch, und alle würden die Halle verlassen. Joe würde mich nicht suchen. Er würde glauben, dass ich schon weggefahren war. Und Vesna? Ich wusste nicht einmal, ob sie heute schon in der Küche gearbeitet hatte. Vielleicht würde jemand kommen und ein Stück Fleisch holen. Ich stieß mich an einem Plastikfass. Es war leer. Jetzt erst fiel mir auf, wie kalt es war. Fleisch wurde bei ein paar Grad über null aufbewahrt. Ich trug bloß Jeans und ein T-Shirt. Wenn heute niemand mehr kam, würde ich erfrieren.
Es musste zirka acht Uhr am Abend sein. Wie lange würde die Kantine offen haben? Die Leute in der Küche waren schon beim Wegräumen gewesen. Und auch die Mitarbeiter des Fernsehsenders würden bald abfahren. Diese Woche stand keine andere Veranstaltung auf dem Programm. Die Vorbereitungen für die Volksmusikshow beanspruchten den ganzen Platz und alle Ressourcen. Ob es einen Nachtwächter gab? Kam er auch in den Keller? Was hätte er hier bewachen sollen? Die alten Plakatständer? Die halben toten Schweine?
Ich musste mich bewegen und warm halten. Wieviel Zeit war vergangen? Die Dunkelheit nahm mir jedes Gefühl dafür. Ich musste mich bewegen, durfte aber nicht zu viel Energie verbrauchen. Wie ging das? Ich hopste von einem Bein auf das andere. Siebenundvierzig, achtundvierzig, neunundvierzig. Meine Füße wurden schon jetzt bleiern, dafür jagte mein Herz. Ich tappte alle Wände ab. Fleisch und Edelstahl, nichts, womit ich mich hätte wärmen können. Meine Füße steckten in dünnen Sandalen. Die Zehen schmerzten, als ob sie über einem Feuer geröstet würden. Das Gegenteil war der Fall. Sie wurden langsam tiefgefroren.
Wo war meine Handtasche? Ich hatte sie fallen lassen. Ich suchte Zentimeter für Zentimeter den Boden ab. Da! Die Tasche mit dem Handy. Ich hatte ganz auf das Handy vergessen. Das konnte ich auch vergessen. Der Keller lag im zweiten Untergeschoss. Trotzdem fingerte ich nach dem Apparat. Als ich auf die Tasten drückte, leuchtete ein kleines Licht auf, das zwar nicht ausreichte, um irgendetwas außer der Handytastatur zu sehen, aber es flößte mir etwas Hoffnung ein. Es gab noch Licht. Ich erinnerte mich an eine der schrecklichen Geschichten, die mir als Kind erzählt worden waren. Sie handelte von einem kleinen Mädchen, das sehr böse gewesen sein soll. Man sperrte es in einem stockfinsteren Zimmer ein. Hier sollte es über seine schwarze Seele nachdenken. Als viele Stunden später die Tür wieder aufging, war das Mädchen blind. Seit dieser Geschichte hasse ich Finsternis.
Ich suchte nach Papiertaschentüchern. Meine Zähne klapperten. Ich konnte nichts dagegen tun. Drei Papiertaschentücher, mehr hatte ich nicht mit. Ich wickelte sie mir um die Handgelenke. Die Füße konnte ich in die Tasche stecken, aber dann konnte ich mich nicht
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