Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
mehr bewegen.
Panik. Schreien war sinnlos, niemand würde mich hören. Das Plastikfass. Ich nahm das Fass und schleuderte es mit voller Wucht gegen die Tür. Es prallte ab und traf mich am Schienbein. Ich stürzte. Das rechte Handgelenk tat höllisch weh. Ich durfte nicht liegen bleiben. Warum nicht? Vielleicht verschwendete ich auf diese Weise am wenigsten Energie. Stöhnend stand ich auf. Ich konnte die rechte Hand kaum mehr bewegen. Beim Fallen hatte ich mich voll darauf abgestützt. Mit meinen ganzen 76 Kilo. Fett hält warm, sagt man. Warum fror ich dann so entsetzlich? Ich versuchte es noch einmal. Ich durfte das Fass bloß nicht loslassen, wenn ich es gegen die Tür schlug. Ich wuchtete es mit der linken Hand hoch und ließ es gegen die Tür krachen. Zu leise. Das war viel zu leise gewesen.
Ich weiß nicht mehr, wann ich es aufgab. Mein Atem ging nur noch pfeifend, die Lippen klebten aufeinander, die Phase des Zähneklapperns war schon vorbei. Kein Laut war zu hören. Kein Lichtschein war zu sehen. Ewige Finsternis und Kälte. Ich hockte mich zur Tür und stellte meine Füße in die Handtasche. Ich riss den Kopf hoch. Nur nicht einschlafen! Wer einschläft, erfriert. Zumindest war das in den Bergen so. Bergsteigen in Eis und Schnee – nicht mein Fall. Ich war nicht in den Bergen, sondern im ewigen Eis … Aufstehen. Verdammt, Mira Valensky, steh auf! Ich rappelte mich tatsächlich wieder auf. Die Knie zitterten so stark, dass ich nicht mehr stehen konnte, ohne mich an einem Regal festzuhalten. Dafür hatten die Schmerzen im Handgelenk nachgelassen. Vereist. Wie praktisch. Ich kicherte hysterisch.
Ich tastete nach dem Fass, das zirka einen Meter hoch war. Ich musste versuchen hineinzukriechen. Plastik isoliert. Warum war ich darauf nicht früher gekommen? Doch ich stand entweder bis zur Hüfte im Fass und ragte mit dem Oberkörper in die Kälte, oder ich stülpte mir das Fass über den Kopf und war mit den Beinen im Freien. Das Fass stank nach einer Mischung aus Plastik und keimtötendem Putzmittel. Trotzdem. Der Schutz des Oberkörpers war wichtiger. Da waren das Herz und die Lunge. Das enge Fass machte das Atmen noch schwieriger. Aber ich merkte, dass die Luft, die ich einatmete, nicht mehr so kalt war. Ich vergeudete nicht mehr so viel Wärme. Aber wie lange würde ich Sauerstoff haben? Ich musste für Frischluftzufuhr sorgen und das Fass kurz hochheben. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich das schaffen würde. Meine Beine gaben nach, und ich landete auf dem Boden.
Das war das Ende. Mein Herz schlug wie wild. Wumm, wumm. Ich sah Gismo vor mir. Warum ausgerechnet Gismo? Ich weiß es nicht. Wumm, wumm. Dann wurde es strahlend hell, dort, wo das Fass aufhörte. Ja, davon berichteten alle, die schon fast auf der anderen Seite gewesen sind. Strahlende Helle. Dann sah ich Vesna. Gute Vesna. Mein Leben zog an mir vorbei. Dann erblickte ich Joe. Offenbar hatte er mir doch etwas bedeutet. Vesna rüttelte mich unsanft. Mir war wieder kalt, sie sollte mich in Ruhe lassen. Meine Zähne begannen wieder aufeinander zu schlagen. Dann wurde es ganz hell, und Joe nahm mich in die Arme und rieb mir den Rücken. Das tat gut.
Vesna und Joe meinten später, ich hätte bloß einen Augenblick gebraucht, um wieder voll da zu sein. Das ist Unsinn, ich weiß, es waren Stunden. Jedenfalls hockten wir irgendwann im Kellergang, Joe mit nacktem Oberkörper, er hatte sein Hemd um mich gelegt. Es war eher eine ritterliche als eine hilfreiche Geste. Es war Sommer, und sein Hemd war aus hauchdünner Baumwolle. Aber es roch sehr gut.
„Wir müssen die Polizei verständigen. Und du musst sofort ins Krankenhaus“, sagte Joe.
„Wir müssen denken“, erwiderte Vesna.
„Kein Krankenhaus“, bat ich schlotternd. „Whiskey.“ Nach einem Whiskey würde man weiter sehen. Die beiden lachten los. Schön, dass ich sie immer noch erheitern konnte. Dann grinste auch ich. „So schlecht kann es mir also nicht gehen, oder?“ Die Zehen brannten fürchterlich, sie konnten also nicht abgestorben sein. „Wer war es?“, fragte ich
„Wir haben keine Ahnung. Wir haben dich beide zu suchen begonnen. Unabhängig voneinander. Ich habe dein Auto am Parkplatz gesehen. Ich war einer der Letzten, habe mich gewundert und nach dir Ausschau gehalten, dich aber nirgends gefunden.“
„Ich habe in der Küche getan, wie ausgemacht. Und dann war Schluss. Und ich habe auch dein Auto gesehen, Mira Valensky. Und ich habe gewusst: Ich muss
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