Ausgekocht: Ein Mira-Valensky-Krimi
Mahmet, den Lehrling und einen Teil der Servicetruppe heim, Vesna und Hans-Peter polieren Besteck. Ich hole den Rest von der Rehlebermousse aus dem Kühlschrank, suche übrig gebliebenes Brot zusammen, nehme zwei Messer mit und bringe Billy dazu, sich zu mir zu setzen. Wir fallen wenig vornehm und ohne jede gourmetartige Hochachtung über die Mousse her, schmieren sie auf die Brote, genießen sie trotzdem mehr, als sie jeder andere genießen könnte, trinken eine Flasche Winzersekt leer.
»Ab jetzt geht es wieder bergauf!«, sage ich zu Billy.
Daniel kommt um halb eins, Billy fällt ihm um den Hals und küsst ihn in aller Öffentlichkeit. Er drückt sie an sich, streichelt ihre Wange. Sie ist einen Kopf kleiner als er.
»Ich brauche wohl nicht zu fragen, wie es war«, sagt er.
Billy löst sich von ihm, schüttelt den Kopf und strahlt ihn an.
Bin ich jetzt das dritte Rad am Wagen? Aber Euphorie und Winzersekt lassen derartige Empfindlichkeiten schnell verschwinden. Daniel isst mit, er kostet auch noch die Paradeisterrine. Die letzten Winzer verabschieden sich. Hans-Peter geht, Vesna setzt sich zu uns.
Wir teilen den Inhalt zweier übrig gebliebener halb voller Rotweinflaschen, reden über die Zukunft, darüber, was anders, was besser gemacht werden könnte. Es ist, als gäbe es keine böse Vergangenheit.
Schließlich schwingt sich Vesna auf ihre Maschine.
Eigentlich habe ich vorgehabt, dieses Wochenende zu Oskar nach Frankfurt zu fliegen. Aber nun sind fast alle Tische im Apfelbaum reserviert. Billy rechnet mit mir. Wenn ich ehrlich bin, bleibe ich ohnehin lieber hier. Es wäre schade, gerade dann nicht mit dabei zu sein, wenn endlich etwas los ist. Auch wenn ich mich heute kaum mehr bewegen kann. Vielleicht schafft es ja Oskar, zu kommen. Immerhin bin nicht ich weg von ihm gezogen, sondern er weg von mir. Allerdings wollte er mich mitnehmen.
Ich gehe in die Küche, werfe noch einmal einen Blick auf alles, drehe das Licht ab. Die Edelstahlflächen glänzen matt im Schein der Straßenlaterne, die Kühlmotoren summen leise. Auf dem Platz von Mahmet steht neben Schneide- und Faschiermaschine in einem Kübel der große Stabmixer. Er könnte umfallen, also gehe ich hin, hebe ihn mitsamt dem Kübel herunter, hänge ihn in das Gestell, parke den Kübel in der Spüle.
Mir scheint, als hätte Mahmet auch vergessen, die Faschiermaschine zu putzen. Wenn wir heute nicht so gründlich wie sonst zusammengeräumt haben, dann heißt das nicht, dass an der Faschiermaschine noch Reste kleben dürfen. Wenn Billy das sieht, bekommt sie einen Wutanfall. Ich will ihr einen glücklichen Abend gönnen, schalte das Licht wieder ein und sehe nach. Tatsächlich. In der Tasse neben der Maschine liegt faschiertes Fleisch. Ich will es schon entsorgen, als ich noch einen Blick in den Einfüllstutzen werfe. Unglaublich, auch da ist noch Fleisch drinnen. Ich greife hinein und halte etwas fest, das sich gleichzeitig sehr vertraut und sehr deplatziert anfühlt. Ich öffne meine Hand und sehe auf zwei noch miteinander verbundene Finger. Es sind die Finger eines Mannes, die Nägel sind sorgfältig manikürt, sauber. Die Haut ist gelblich-weiß, sie greift sich trocken und kühl an. Ich nehme das alles wahr, mir scheint, ohne irgendeine Gefühlsregung.
Als ich wieder zu mir komme, sitze ich auf dem Küchenboden und sehe, dass Mahmet auch hier vergessen hat, sauber zu machen. Aber darum geht es jetzt nicht. Billy hockt neben mir und drückt mir ein feuchtes Tuch gegen die Stirn. Mein Kopf pocht, und leider habe ich nicht vergessen, was ich gesehen habe. Ich würge, deute nach oben zur Faschiermaschine, bemerke erst dann, dass ich die beiden toten Finger noch immer in meiner Hand halte. Billy krallt sich an mich, schreit auf. Ich habe noch nie einen Schrei wie diesen gehört, laut und schrill und wie unter Folter, es ist gleichzeitig mein Schrei.
Daniel, der Verbandszeug holen wollte, rast her. Blut rinnt über meine Stirn. Ich zeige ihm die Finger, er schlägt sie mir in einer Reflexbewegung voll Ekel aus der Hand, sie landen auf dem Boden, nur wenige Zentimeter neben dem Wärmeschrank. Schmieriges Blut in meiner Hand. Menschenblut.
»Ein Teil ist faschiert«, sage ich und wundere mich über meine Stimme. Sie ist heiser, so, als hätte tatsächlich ich geschrien. Stundenlang. Das Kulinarium hat den Albtraum nur unterbrochen. Mir kommt die Lebermousse hoch, ich kotze mitten auf den Küchenboden. Billy rappelt sich auf, nimmt die Tasse mit dem
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