Ausgekocht: Ein Mira-Valensky-Krimi
an, das schafft bei der sturen Billy so schnell keiner. Überhaupt hat sich etwas an ihrem Umgang miteinander verändert. Vordergründig scheinen sie sich nicht anders als sonst zu benehmen, aber da ist eine neue Vertrautheit, eine neue Direktheit. Mira, der Typ wäre für dich ohnehin zu jung gewesen. Er ist auch vier Jahre jünger als Billy. Aber das fällt wohl unter die Toleranzgrenze.
Jedenfalls erlebe ich, wie es ist, wenn zwei Profis zusammenarbeiten, und möchte mich am liebsten verstecken. Am meisten beneide ich die beiden um ihre sparsamen, harmonischen Bewegungen, es ist eine Art Küchenballett, Minimal Art vom Feinsten. Während des Abendgeschäfts gibt Billy den Ton an, natürlich, es ist ihr Lokal, ihre Speisekarte. Daniel arbeitet ihr zu.
Später dann, als es um die Vorbereitungen für das Kulinarium geht, lässt sich Billy von ihm sogar Tipps geben. Er bringt seine Ideen aber auch ganz vorsichtig ein, so als würde er bloß laut denken.
Wenn die beiden gemeinsam ein Restaurant aufmachen, spielen sie alle an die Wand. So weit ist es aber noch nicht. Jetzt geht es erst einmal um das Menü für morgen. Oder besser, für heute. Es ist bereits lange nach Mitternacht. Wer Journalismus für eine kurzlebige Sache hält, hat schon Recht. Aber das ist nichts gegen die Gastronomie. Ist ein Gericht draußen beim Gast, geht es in der Küche längst um das nächste. Momenterfolge, noch viel mehr Möglichkeiten, jeden Augenblick zu versagen.
Hätte ich rechtzeitig bedacht, wie lange die Vorbereitungen dauern, ich hätte im Hinterzimmer übernachtet, Totschläger hin oder her. So komme ich erst um vier ins Bett und muss spätestens um acht wieder aufstehen.
10.
Ich fahre bei der nächsten Trafik vorbei, kaufe ein »Magazin« und Guttners Zeitung. Am liebsten hätte ich sofort gelesen, was er geschrieben hat, aber ich bin ohnehin schon extrem spät dran und beherrsche mich.
Als ich etwas nach neun zum Apfelbaum einbiege, ist die Eingangstüre schon offen. Ich nehme die beiden Zeitungen und suche nach Billy. In der Küche finde ich sie nicht. Ist wieder etwas passiert? Billy steht neben dem Kaffeeautomaten.
»Mir bitte auch einen«, sage ich.
Sie sieht bleich und übernächtig aus, aber irgendwie fröhlich, wer weiß, vielleicht hat sie noch weniger Schlaf bekommen als ich. Es gibt Formen fröhlicher Schlaflosigkeit, mit denen ich gut leben könnte. Plötzlich wird mir klar, wie sehr mir Oskar fehlt.
»Hast du die Zeitungen gelesen?«, frage ich sie.
»Ich hab mich noch nicht getraut.«
Meinen Text fürs »Magazin« habe ich Billy natürlich schon am Bildschirm gezeigt, aber ihn im Heft zu sehen, ist eine andere Sache.
Dann suchen wir Guttners Kolumne. Sie ist nicht besonders lang. Dafür ist eine sehr nette Außenansicht vom Apfelbaum dabei.
»Kriminell gut!«, lautet der Titel.
»Mir wäre lieber, er würde nicht darauf anspielen«, jammert Billy. Wir lesen weiter:
»In den letzten Wochen ist der ›Apfelbaum‹ vor allem im Zusammenhang mit einigen bösen Streichen erwähnt worden. Ich habe nachgesehen, wie es um die kulinarische Seite des Lokals steht. Bekanntlich hat es Manninger vor rund zwei Jahren von seiner Tante namens Apfelbaum geerbt. Innerhalb kürzester Zeit gelang es ihm, aus einem biederen Landwirtshaus ein Restaurant der besonderen Art zu machen. Bodenständiges verband er mit der ihm eigenen Kreativität, Gerichte der Bauernküche mit seiner internationalen Erfahrung. Aber dann rief ihn New York. Und er rief Billy Winter, Souschefin im ›Royal Grand‹, gerade auf dem Sprung, dort Küchenchefin zu werden. Sie entschied sich für die größere Herausforderung und übernahm – ich habe darüber berichtet – vor einem Vierteljahr sein Restaurant und sein Konzept. Wenn Skeptiker gemeint haben, selbst die talentierte Billy Winter würde wohl kaum mit Manninger mithalten können, so muss ich sie enttäuschen: Die Küche ist – man verzeihe mir die Anspielung auf Vorfälle der letzten Zeit – kriminell gut. Billy Winter kocht mit leichter Hand und mit viel Fantasie. Wenn in Wien zur Zeit die Fusionküche aus dem asiatischen und dem französischen Raum boomt, dann lässt uns die Chefin des Hauses hier, vor den Toren Wiens, eine neue und spannende Form der Fusion erleben: Traditionelle Gerichte werden verbunden mit allem, was weltweit als Genuss gilt. Über die Weinkarte lässt sich bloß sagen, dass ich noch nie eine derart große Auswahl an regionalen Weinen gesehen habe. Wer sich nicht
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