Ausgekocht: Ein Mira-Valensky-Krimi
durchkosten will, ist gut beraten, einen der ›Weine der Woche‹ zu versuchen. Mag sein, dass es sinnvoll wäre, das Angebot im Sinne der ›Apfelbaum‹-Fusion durch den einen oder anderen Tropfen aus anderen Ländern und Erdteilen zu ergänzen, aber kein Lokal, kein Gast sollte ein größeres Problem haben, als dass nicht alle internationalen Spitzenkreszenzen vorrätig sind.
Wer sich selbst ein Bild von Billy Winters Haus machen möchte, hat übrigens schon heute die Gelegenheit dazu: Um 20 Uhr findet im ›Apfelbaum‹ ein Kulinarium mit Weinverkostung statt. Ein siebengängiges Menü und einige der besten Winzer der Region warten auf Sie. Die wenigen Restplätze können Sie telefonisch buchen!«
Wir tanzen durch den Schankraum, ich bin auf einmal gar nicht mehr müde. Erst als uns zwei junge Frauen entgeistert anstarren, finden wir zurück in die Realität.
Billy hat Aushilfskräfte für den Service besorgt, sie kennen den Apfelbaum, an starken Tagen hätten sie immer wieder hier gearbeitet, erklärt sie mir. In letzter Zeit hat es leider keine solchen starken Tage gegeben. Sie weist die beiden ein, auch Hans-Peter und die Praktikantin müssen jeden Moment kommen.
Ich kippe einen extragroßen, extrastarken Kaffee hinunter. Billy sieht mich besorgt an: »Du musst am Nachmittag eine Pause machen und dich hinlegen.«
Man wird sehen.
In der nächsten Stunde bleibt das Telefon gespenstisch still. Gibt es niemanden, der spontan Lust hat, zu uns essen zu kommen? Nach dieser Kritik? Und immerhin: Die Eventseite des »Magazins« wird auch von ein paar hunderttausend Menschen gelesen.
Egal, weitermachen. Ich gehe mit dem von Billy handgeschriebenen Zettel zum PC und entwerfe eine Menükarte, am Computer bin ich ihr eindeutig überlegen. Wenigstens da.
Mousse von der Rehleber mit Brombeerchili
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Trüffel-Grieß-Knöderl in klarer Steinpilzsuppe
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Blutwurstsoufflé
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Krebse in eigener Sauce, mit Weinviertler »Cognac« verfeinert
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Paradeisterrine
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Pillichsdorfer Wachteln neben Rollotto (Rollgerstlrisotto)
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Frau Apfelbaums klassisches Topfenwandl
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Käse aus der Gegend und aus Frankreich
Mir rinnt das Wasser im Mund zusammen. Neben die jeweiligen Gänge schreibe ich die Weine. Dann zähle ich durch. Das sind nicht sieben, sondern acht Gänge. Billy schüttelt den Kopf, zählt selbst. Als ob sie mir nicht zutrauen würde, bis acht zu zählen. Dass sie sich bei nichts auf jemand anderen verlassen kann. Aber auch bei ihr bleiben es acht.
»Besser ein Gang mehr als einer weniger«, sagt sie. »Ich weiß nicht, was ich weglassen sollte.«
Da kann ich ihr auch nicht helfen. Die Rehlebermousse ist schon vorbereitet, sie soll ohnehin einen Tag durchziehen. Die Paradeisterrine ist fertig, nur die jungen Gemüse zur Garnitur müssen wir frisch herrichten. Die Wachteln sind ausgelöst, ein schreckliches Geduldspiel. Das Topfenwandl steht im Kühlschrank.
Ich verpflastere gerade meinen Daumen neu, als endlich das Telefon läutet.
»Ja, gerne«, höre ich Billy sagen, »das lässt sich noch machen.« Sie singt es beinahe.
»Ein Tisch mit sechs Personen!«, brüllt sie herein.
Es ist, als wäre der Damm gebrochen. Alle paar Minuten rufen neugierige Feinschmecker an, schon vor Mittag sind wir bis auf den letzten Platz ausgebucht. Die anderen Gäste müssen wir auf die nächsten Tage vertrösten, fast alle reservieren trotzdem.
Das Problem bei diesem Segen in letzter Minute: Billy hängt die meiste Zeit am Telefon, die Küchenarbeit bleibt Mahmet, dem Lehrling und mir.
Zu Mittag weisen uns schon die ersten Gäste auf die Kolumne hin. Hätten sie gewusst, dass es am Abend ein Kulinarium gibt … Neben den vier reservierten Tischen kommen noch zwölf weitere Gäste überraschend. Nur ein Mann fragt nach dem zusammengeschlagenen Kellner und dem verschwundenen Koch.
Wir schwitzen, versuchen mindestens so gut zu sein, wie Guttner behauptet, und ich weiß schon jetzt, dass es für mich keine Nachmittagspause geben wird. Eigentlich hatten wir geplant, die Vorbereitungen für den Abend während des normalerweise eher flauen Mittagsgeschäfts fortzusetzen. Nicht Schlimmeres soll uns passieren als überraschend viele Gäste schon zu Mittag.
Fünfundachtzig Gedecke brauchen wir für den Abend, mehr Sessel gibt es nicht. Wir zählen die Teller durch, mit so einem Ansturm hat niemand gerechnet. Ich telefoniere mit Vesna, vielleicht kann sie früher kommen als vereinbart. Sie verspricht, sich sofort auf ihre illegale
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