Ausgeliefert: Roman (German Edition)
rappelte sich hoch und seine Kette peitschte zornig hinter ihm.
»Fünf!«, brüllte er und machte einen Satz.
Er packte den Fahrer am Arm und schleuderte ihn in seine Box. Warf ihn gegen die hintere Wand. Der Mann wurde dagegen
geschmettert und hing dort wie eine zerbrochene Puppe. Er taumelte nach vorn, und Reacher versetzte ihm einen Tritt in den Leib. Der Mann knickte zusammen wie ein Taschenmesser, flog einen halben Meter durch die Luft und krachte flach aufs Gesicht. Reacher griff sich das Ende der Kette, so dass sie jetzt doppelt stark war, und schwang sie durch die Luft. Zielte wie mit einer riesigen Metallpeitsche mit ihrer ganzen todbringenden Länge auf den Kopf des Mannes. Der eiserne Ring wurde von der Zentrifugalkraft nach außen getragen wie bei einer mittelalterlichen Waffe. Doch Reacher überlegte es sich im letzten Augenblick anders. Riss die Kette aus ihrer Bahn und ließ sie krachend und Funken sprühend auf den Steinboden schmettern. Er packte den Fahrer mit der einen Hand am Kragen und der anderen im Haar. Hob ihn hoch wie eine Puppe und warf ihn auf der anderen Seite des Mittelgangs auf Hollys Matratze. Presste sein hässliches Gesicht in den weichen Stoff und drückte es hinunter, bis er erstickte. Der Mann bäumte sich auf, schlug mit Händen und Füßen um sich, aber Reacher drückte nur seine mächtige Pranke hinten auf seinen Schädel und wartete geduldig, bis er starb.
Holly starrte mit glasigen Augen auf die Leiche, und Reacher saß keuchend neben ihr. Die Explosion von Kraft, die er in sich ausgelöst hatte, um damit den Eisenring aus der Wand zu reißen, hatte ihn ausgepumpt, und er war jetzt schlaff. Es war ein Gefühl, als ob sich ein ganzes Leben körperlicher Anstrengung im Bruchteil einer Sekunde entladen hätte. Die Uhr in seinem Kopf war explodiert und zum Stillstand gekommen. Er hatte keine Ahnung, wie lang sie schon dagesessen hatten, schüttelte sich schließlich und stand taumelnd auf. Zerrte die Leiche weg und ließ sie im Mittelgang nahe bei der offenen Tür liegen. Dann ging er zurück und kauerte sich neben Holly nieder. Seine Finger waren von dem verzweifelten Griff, mit dem er sie in die Kette gekrallt hatte, angeschwollen und wund, aber er zwang sie, feinfühlig zu sein. Langsam knöpfte er all ihre Knöpfe wieder zu, einen nach dem anderen, bis ganz nach oben. Ihr Atem ging kurz und schnell. Dann
schlang sie die Arme um seinen Hals und drückte ihn an sich. Ihr Atem sog an seinem Hemd und blies dagegen.
Sie hielten einander einen endlosen Augenblick lang fest. Er spürte, wie die Wut langsam aus ihr herausfloß. Dann ließen sie einander los und saßen nebeneinander auf der Matratze, starrten ins Halbdunkel. Bis sie sich zu ihm rumdrehte und ihre kleine Hand auf seine legte.
»Jetzt stehe ich wohl in Ihrer Schuld«, sagte sie.
»War mir ein Vergnügen«, sagte Reacher. »He, das können Sie mir glauben.«
»Ich habe Hilfe gebraucht«, sagte sie leise, »Ich habe mir etwas vorgemacht.«
Er schloss seine Hand um die ihre.
»Blödsinn, Holly«, sagte er mit sanfter Stimme. »Von Zeit zu Zeit brauchen wir alle Hilfe. Denken Sie sich nichts dabei. Wenn Sie fit wären, hätten Sie ihn erledigt. Das konnte ich erkennen. Ein Arm und ein Bein, Sie hatten es beinahe geschafft. Es ist bloß Ihr Knie. Bei solchen Schmerzen haben Sie keine Chance. Glauben Sie mir, ich weiß, wie das ist. Nach der Sache in Beirut hätte ich beinahe ein Jahr lang nicht einmal einem Baby ein Stück Schokolade wegnehmen können.«
Sie lächelte und drückte seine Hand. Die Uhr in seinem Kopf sprang wieder an. Bald würde der Morgen dämmern.
18
General Johnson verließ das Pentagon am Mittwochmorgen um sieben Uhr zwanzig nach Ostküstenzeit. Er trug keine Uniform, sondern einen leichten Straßenanzug, und er ging zu Fuß. Das war die von ihm vorgezogene Methode, in Washington voranzukommen. Es war ein warmer Morgen und schon um diese frühe Stunde schwül, aber er schritt gleichmäßig aus, schwang die Arme, hielt den Kopf hoch erhoben und atmete tief.
Er ging in nördlicher Richtung durch den dichten Staub am Randstreifen des George Washington Boulevard an dem großen Friedhof zu seiner Linken vorbei, durch den Lady Bird Johnson Park und über die Brücke des Arlington Memorial. Dann umrundete er im Uhrzeigersinn das Lincoln-Denkmal, an der Vietnam-Mauer vorbei, und bog rechts in die Constitution Avenue ein, mit dem Spiegelteich zur Rechten und dem Washington-Monument vor sich. Er
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