Ausgeliefert: Roman (German Edition)
an.
»Kanada?«, fragte sie.
Wieder schüttelte der Mann den Kopf.
»Nein, nicht Kanada, Schlampe«, sagte er.
Holly sah sich um, musterte die Bäume und die Berge. Blickte zu dem gewaltigen Nachthimmel auf. Fröstelte, als ihr plötzlich kühl wurde.
»Nun, Mexiko ist das nicht«, sagte sie.
Der Mann hob beide Arme in einer vielsagenden Geste.
»Das hier ist ein nagelneues Land«, erwiderte er.
22
In dem Außenbüro in Chicago herrschte Mittwochabend Begräbnisstimmung, und in gewisser Weise war es auch ein Begräbnis, weil nämlich jegliche realistische Hoffnung, Holly aufzufinden, inzwischen gestorben war. McGrath wusste, dass seine beste Chance eine frühe Chance gewesen war. Und die frühe Chance war dahin. Wenn Holly noch lebte, war sie jetzt eine Gefangene irgendwo auf dem nordamerikanischen Kontinent, und er würde nicht einmal herausbekommen, wo das war, bis ihre Kidnapper sich dazu entschlossen, anzurufen. Bis jetzt – und seit der Entführung waren beinahe sechzig Stunden verstrichen – hatten sie nicht angerufen.
Er saß am Kopfende der langen Tafel in dem Konferenzzimmer im zweiten Stock. Rauchte. In dem Raum herrschte völlige Stille. Milosevic saß auf der Längsseite der Tafel, den Rücken den Fenstern zugewandt. Die Nachmittagssonne war allmählich in den Abend gesunken und schließlich in die Dunkelheit gefallen. Die Temperatur in dem Raum war mit ihr höher gestiegen und dann wieder gesunken und entsprach jetzt der eines lauschigen Sommerabends. Aber die zwei Männer in dem Saal waren deprimiert und froren. Sie blickten kaum auf, als Brogan hereinkam. Er hielt ein Bündel Computerausdrucke in der Hand. Er lächelte nicht gerade, aber sein Gesichtsausdruck kam dem einigermaßen nahe.
»Haben Sie etwas?«, fragte ihn McGrath.
Brogan nickte selbstsicher und setzte sich. Sortierte die Ausdrucke in vier einzelne Stapel, nahm sie dann der Reihe nach in die Hand und zeigte sie den beiden anderen.
»Quantico«, sagte er. »Die haben etwas. Und die Datenbank in Washington. Die haben drei Fakten. Und ich hatte eine Idee.«
Er breitete seine Papiere vor sich aus und blickte auf.
»Hören Sie sich das an«, sagte er. »Schriftgranit, ineinander verschachtelte Kristalle, Kieselgur, Gneis, Schiefer, Schieferton, Quarzit, Quarzkristalle, Rotbettsandstein, triassischer roter Sand, akzidisches Vulkangestein, rosa Felsspat, grünes Chlorid, Eisenstein, Kies, Sand und Schlick. Wissen Sie, was das alles für Zeug ist?«
McGrath und Milosevic zuckten die Schultern und schüttelten die Köpfe.
»Geologie«, sagte Brogan. »Die Leute in Quantico haben sich den Pickup angesehen. Geologen von der Materialanalyse-Abteilung. Die haben sich den Scheiß angeschaut, der in den Radkästen hing. Sie haben herausgetüftelt, was das für Zeug ist, und damit herausgetüftelt, wo dieser Pickup gewesen war. Winzige Gesteins- und Sedimentteile sind am Blech kleben geblieben. So etwas wie ein geologischer Fingerabdruck.«
»Na schön, und wo war er?«, fragte McGrath.
»Begonnen hat er seine Laufbahn in Kalifornien«, sagte Brogan. »Ein Orangenzüchter namens Dutch Borken hat den Pickup vor zehn Jahren in Mojave gekauft. Das hat der Hersteller für uns herausgebracht. Dann, sagen die Wissenschaftler, ist er ein paar Jahre in Montana gewesen. Anschließend haben sie ihn hierher gebracht, auf der Nordroute, durch North Dakota, Minnesota und Wisconsin.«
»Sind sie sich da sicher?«, wollte McGrath wissen.
»Das ist wie ein Fahrtenbuch«, sagte Brogan. »Bloß dass es mit solchem Dreck in die Radkästen geschrieben ist und nicht mit einem Kugelschreiber auf Papier.«
»Und wer ist dieser Dutch Borken?«, fragte McGrath. »Hat er mit der Sache zu tun?«
Brogan schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Dutch Borken ist tot.«
»Wann?«, erkundigte sich McGrath.
»Vor zwei Jahren«, erklärte Brogan. »Er hat sich Geld geborgt, seine Farm ist zum Teufel gegangen, die Bank hat ihm den Kredit gekündigt, und da hat er sich seine Flinte in den Mund gesteckt und seine Schädeldecke über ganz Kalifornien verteilt.«
»Und?«, fragte McGrath.
»Sein Sohn hat den Pick-up gestohlen«, sagte Brogan. »Formal hat er ja der Bank gehört, nicht wahr? Der Sohn ist damit abgehauen, keiner hat ihn je wieder gesehen. Die Bank hat den Diebstahl gemeldet, und die dortige Polizei hat danach gesucht, ihn aber nicht gefunden. Er ist nicht zugelassen. Die Zulassungsstelle weiß nichts darüber. Die Cops haben dann aufgegeben,
Weitere Kostenlose Bücher