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Ausgelöscht

Ausgelöscht

Titel: Ausgelöscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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behüteten Aufwachsens eines Kindes einzugehen. Denn ein gelegentlicher Ausrutscher war ja zumindest denkbar, wenn man damit nur sich selbst wehtat und niemandem sonst. Wenn der Schmerz zu unerträglich wurde, wusste man, dass man ihn lindern konnte, selbst wenn man dafür im Nachhinein mit Zins und Zinseszins bezahlen musste. Jetzt, wo Billys Zukunft mit seiner eigenen verwoben war, wo ein Drink bedeutet hätte, dass Billys Vater ein
Trinker
war, konnte Clevenger das Zeug nicht mehr anrühren. Er war an die Realität gekettet, egal, wie quälend sie wurde.
    Ihm ging abermals durch den Sinn, was John Snow vorgehabt hatte, sein Plan, sich von seinen verwickelten Neuronen zu befreien – und sehr wahrscheinlich von allen Verwicklungen. Einerseits war die Vorstellung berauschend: Snow hätte das befreite Leben eines Fremden in einem fernen Land leben können, ohne Verpflichtungen irgendjemandem gegenüber, ohne Schuldgefühle wegen der Sünden der Vergangenheit, so dass sich ihm nichts mehr in den Weg gestellt oder ihm Grenzen gesetzt hätte. Andererseits war zu fragen, wie viel Snows Freiheit die Menschen gekostet hätte, die ihn als Teil
ihrer
Lebensgeschichten,
ihrer Wirklichkeit
betrachteten. Hätten sie ohne ihn jemals die Dramen auflösen können, in denen er eine tragende Rolle gespielt hatte, oder hätten sie auf ewig an ihrer Bürde zu tragen gehabt? Und sollte das seine Sorge sein? Ist irgendeiner von uns so frei, dass er die Freiheit besitzt, sich vollständig von allem zu lösen?
    Wie würde Billy reagieren, wenn Clevenger beschlösse, dass ihre emotionalen Bindungen – die positiven wie die negativen – null und nichtig seien, dass sie keine gemeinsame Zukunft hätten, ja nicht einmal eine gemeinsame Vergangenheit? Wäre er imstande, ein solches Verstoßenwerden zu überstehen? Wäre er in der Lage, all die Liebe und die Angst, das Vertrauen und den Unmut, die sie geteilt hatten, allein zu tragen? Oder würde die Last ihn erdrücken?
    War Snows Absicht, sich von allem zu trennen, ein Akt der Selbsterhaltung, ein Akt der Zerstörung, oder beides?
    Das Telefon klingelte. Clevenger kehrte an seinen Schreibtisch zurück und nahm den Hörer ab. »Frank Clevenger.«
    »Schlechte Neuigkeiten«, sagte North Anderson.
    »Was? Wo bist du?«
    »Im Büro. Mike Coady hat gerade angerufen. Die Polizei wurde über 911 in die Beacon Street 214 gerufen. George Reese, Grace Baxters Ehemann.«
    »O Gott, nein«, entfuhr es Clevenger, denn er dachte, sie hätte ihn ermordet oder es zumindest versucht. Ihm wurden die Knie weich. Grace Baxter hatte ihm einen flüchtigen Einblick in ihre Verzweiflung erlaubt, und er hatte die falsche Entscheidung getroffen und sie nach Hause gehen lassen, statt sie in die geschlossene Psychiatrie einzuweisen. »Wie schlimm ist es?«, fragte er.
    »Die Sanitäter haben alles versucht, aber sie hatten keine Chance. Der Tod ist vermutlich ein, zwei Stunden zuvor eingetreten.«
    Clevenger konnte sich gerade noch auf den Schreibtischsessel sinken lassen, bevor seine Beine nachgaben. »Wie hat sie ihn umgebracht?«
    »Wie hat sie …«, setzte Anderson an, dann stockte er. »Dem Ehemann ist nichts passiert, Frank.«
    Clevengers Verstand konnte – oder wollte – die Fakten nicht zu der schrecklichen Antwort addieren. »Ich verstehe nicht.«
    »Es ist Grace«, sagte Anderson. Er schwieg einen Moment lang. »Sie hat sich umgebracht.«
    Clevenger schloss die Augen. Er schaute in den Nachthimmel über Chelsea hinaus. »Wie?«, brachte er mühsam heraus.
    »Schön ist es nicht gewesen.«
    »Ist es das je?«
    »In diesem Fall …«
    »Spuck’s einfach aus.«
    »Sie ist ins Badezimmer gegangen und hat sich erst die Pulsadern aufgeschnitten und dann die Kehle durchschnitten. Dann ist sie aufs Bett getaumelt und verblutet.«
    »Wer hat sie gefunden?«
    »Ihr Mann. Sie wurde auf einer Cocktailparty in der Beacon Street Bank erwartet. Irgendeine Wohltätigkeitsveranstaltung oder so was. Sie ist nicht gekommen. Er ist nach Hause gegangen, um nach ihr zu sehen.«
    »Hat sie einen Abschiedsbrief hinterlassen?«
    »Ja. Coady hat nicht gesagt, was drinstand.«
    »Können wir uns dort treffen?«, fragte Clevenger. Einerseits wollte er dorthin, weil Grace seine Patientin gewesen war, wenn auch bloß für eine Sitzung. Andererseits waren die beiden Geliebten im Abstand weniger Stunden gestorben. Es konnte sich also um Mord, gefolgt von Selbstmord handeln – dann hätte Grace Baxter erst John Snow und danach sich

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